Nicht jeder Arzt zahlt sein Essen selbst

Fortbildungen für Mediziner werden oft von Pharmafirmen für die Bewerbung ihrer Arzneimittel genutzt

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Über die Fortbildung versuchen manche Pharmahersteller, massiv Einfluss auf Ärzte zu bekommen. Schaden nehmen dadurch vor allem die Patienten.

Nicht nur Patienten erwarten, dass sich ihre Behandler immer auf dem aktuellen Stand des medizinischen Wissens befinden. Auch die Ärztekammern verpflichten ihre Mitglieder zu regelmäßiger Fortbildung.

Die pharmaskeptische Ärzteorganisation MEZIS (Mein Essen zahl ich selbst) e.V. stellte dennoch 2013 in Berlin beim Veranstalter »Medical Tribune« mehrere Verstöße gegen die Fortbildungsordnung fest. Für eine Veranstaltung für Allgemeinmediziner sei die Ärztekammer der Hauptstadt bewusst über den Umfang des Sponsorings getäuscht worden. Die Kammer machte dann eine Stichprobe während der Veranstaltung und fand noch mehr zu beanstanden. An die teilnehmenden Ärzte bereits vergebene Punkte wurden deshalb aberkannt. »Medical Tribune« hatte dagegen Widerspruch eingelegt, der war abschlägig beschieden worden. Die Frist zu einer Klage vor dem Berliner Verwaltungsgericht ließ der Veranstalter verstreichen. Auch die Ärztekammer Niedersachsen sagte kürzlich Fortbildungspunkte nicht zu, in Hamburg laufen Ermittlungen der Standesorganisation zu »Medical Tribune«-Veranstaltungen.

Ärztliche Fortbildung

Mediziner können Artikel aus wissenschaftlichen Fachzeitschriften online durcharbeiten, Kongresse oder Vorträge besuchen. Auch Qualitätszirkel oder Tumorkonferenzen, bei denen sich Fachärzte zu einzelnen Fällen verständigen, gehören dazu. Zertifiziert werden alle Fortbildungsmöglichkeiten von den Ärztekammern der Bundesländer.

Innerhalb von fünf Jahren müssen Ärzte 250 Punkte von geprüften Anbietern nachweisen. Gelingt ihnen das nicht, können sie innerhalb einiger Monate die Punkte nacharbeiten, erhalten in dieser Zeit aber ein reduziertes Honorar. Scheitern sie erneut, droht der Entzug der Zulassung. Das kam bisher nicht vor.

Die Fortbildung ist nicht zu verwechseln mit der mehrjährigen ärztlichen Weiterbildung, an deren Ende der Erwerb eines Facharzt-Abschlusses steht. uh

 

Rolf Kühne, Berliner Internist und MEZIS-Mitglied, findet jegliches veranstaltungsbezogene Sponsoring von Firmen problematisch. Besser wäre eine generelle Lösung: »Wenn Unternehmen finanziell zur Fortbildung von Ärzten beitragen wollen, könnten sie doch in einen großen Topf bei den Ärztekammern einzahlen, aus dem unabhängige Veranstaltungen finanziert werden.« Damit wäre Unternehmen die Möglichkeit genommen, eigene Produkte anzupreisen.

Auch die neue Fortbildungsordnung der Berliner Ärztekammer vom April dieses Jahres verbietet Sponsoring nicht. Transparent muss es jedoch sein, der Inhalt und Rahmen der Veranstaltungen »frei von wirtschaftlichen Interessen«. Interessenskonflikte von Veranstalter, wissenschaftlicher Leitung und Referenten sind offen zu legen. Für die Kontrolle der Bestimmungen hat die Ärztekammer Berlin aber nur wenig personelle Kapazitäten. Vier Mitarbeiter zertifizieren pro Jahr 16 000 Angebote, drei Ärzte sorgen für deren Supervision. In unklaren Fällen wird ein ehrenamtlicher Beirat befragt. So ergebe sich insgesamt eine »argumentativ gut begründete und konsequent angewandte Spruchpraxis«, meint Henning Schaefer, Leiter der Fortbildungskommission.

Die meisten Ärzte halten sich selbst für unbestechlich und nicht durch Pharmainteressen beeinflussbar. Für Rolf Kühne ist das ein Trugschluss. Untermauert wird seine Einschätzung durch Studien, die ergaben, dass die Verschreibungen bestimmter neuer Medikamente nach einer Veranstaltung zum Thema deutlich anstiegen. Außerdem verweist der Berliner Mediziner auf das Bedürfnis nach Reziprozität: »Man kann nicht immer nur Geschenke annehmen, irgendwann will man auch etwas zurückgeben.« Dann wird häufiger als medizinisch angesagt ein empfohlenes Präparat verschrieben. Die Information über die Qualität und Eigenschaften von Medikamenten lasse sich aber auch in unabhängigen Quellen finden, meint nicht nur Kühne, etwa im Newsletter des Instituts für Qualität und Wissenschaftlichkeit im Gesundheitswesens (IQWiG). Die unabhängige wissenschaftliche Einrichtung informiert über Vor- und Nachteile von Behandlungs- und Untersuchungsmethoden. Außerdem gibt es die Veröffentlichungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft.

Ein Teil des Problems liegt bei den Ärzten selbst. Schon im Studium werden sie pharmafreundlich sozialisiert, und gewöhnen sich an die vermeintlichen Geschenke. Ralf Kühne besuchte lange einen Stammtisch für Allgemeinmediziner, bei dem Vortrag und Essen gesponsort wurden. Er schlug vor, das Essen selbst zu bezahlen und sich über relevante Themen aus der eigenen Praxis auszutauschen: »Das wurde mehrheitlich abgelehnt.« Kühne nennt aber auch positive Beispiele: Eine unabhängige Ganztagsveranstaltung für Ärzte jeweils zum Jahresende, veranstaltet von der Berliner Ärztekammer. Oder die von der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin angebotenen »Hausärztetage« in verschiedenen Regionen.

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