Wiederholungen sind besser, als du denkst
Auf ihrem neuen Album empfehlen Element of Crime uns »Lieblingsfarben und Tiere«, Dosenravioli und Buch
Es gibt diese penetrant affektierten Stimmen aus der Radiowerbung, die sich solange aus schlecht gespielter Begeisterung für das überflüssige Produkt, das sie anpreisen, in die Höhe schrauben, bis du mit letzter Kraft die Zeigefinger aus den Ohren nimmst, um kurz vor dem Erbrechen das Gerät abzuschalten. Auch, wenn es eine kaum zu verantwortende Zumutung ist: Stellen Sie sich bitte mal kurz eine solche Stimme vor. Haben Sie’s? Danke. Und jetzt - Achtung! - bitte mal das komplette Gegenteil. Gut. Schön. Was Sie da hören, ist die nordisch-nörgelige, monoton-melancholische, aufregend unaufgeregte Stimme Sven Regeners.
Auf einen weiteren Gegensatz zwischen einem x-beliebigen Produkt aus der Werbung und einem Element-of-Crime-Album muss an dieser Stelle hingewiesen werden: Während jenes herausposaunt, es sei der allerletzte Schrei, gibt sich dieses nicht viel Mühe, großartig anders zu klingen als sein Vor-, Vorvor-, Vorvorvor-, Vorvorvorvorgänger und so weiter.
Auf der neuen Platte »Lieblingsfarben und Tiere«, an der am großartigsten ist, dass sie genauso großartig ist wie ihre Vor-, Vorvor-, Vorvorvor- und, na Sie wissen schon, singt Sven Regener im zehnten von zehn wunderschönen neuen Songs die Verse »Nichts ist auch so kalt/ wie der heiße Scheiß von gestern,/ doch Wiederholungen/ sind besser, als du denkst;/ ich gäbe meinen rechten/ Arm dafür,/ wenn du mir nur einmal noch ein Lächeln schenkst.« Und bevor das Album dann zu Ende geht (wir gäben unsren rechten Arm dafür, wenn die Band uns bald mal noch ein Album schenkt), kommt eines dieser unglaublich gelassenen, wahnsinnig weisen Trompeten-Soli, die du dir am besten nach jedem richtigen Scheißtag abends vor dem Einschlafen anhören würdest, weil sie dir so betörend erzählen, dass auch dieser Tag vorbeigehen und am nächsten Morgen ein neuer beginnen wird.
Sven Regeners Ton- und Gemütslage - seit fast 30 Jahren mit Element of Crime und seit einiger Zeit in seinen Herr-Lehmann-Romanen - ist eine so wohltuend wenig aufmerksamkeitsheischende, dass man ein bisschen überrascht war, als ausgerechnet er sich letztens, also 2012, zu einer ziemlich drastischen Wutrede gegen Youtube und Google und für ein vernünftiges Urheberrecht hinreißen ließ. Regener ist so Old School, dass er Diebstahl an Kunstwerken großen Mist findet und die digitalen Werkzeuge, mit denen diese Einbrüche in die Labore der Künstler unternommen werden, gleich mit.
Im Titelsong der Platte, »Lieblingsfarben und Tiere«, fasst er seine Haltung noch mal in Versen zusammen, was sich natürlich sehr viel überzeugender anhört als eine Wutrede, zumal Regener im Vorbeigehen gleich noch die Poesiefähigkeit des Wortes »Schwachstromsignalübertragungsweg« unter Beweis stellt: »Schön, dass du persönlich/ an der Tür/ die Klingelleitung testest«, heißt es da, und: »Du hast recht,/ da ist technisch/ nicht alles 1a./ Im Schwachstromsignalübertragungsweg gibt es Durchleitungsprobleme./ Doch wer wirklich/ zu mir will,/ kommt damit klar.// Er braucht nur Lieblingsfarben und Tiere,/ Dosenravioli und Buch/ und einen Bildschirm mit Goldfisch,/ das ist für heute genug.«
Ansonsten gibt es auf der Platte jede Menge Fluss- und Schiff- und Stein-in-der-Brandung-Metaphern, immer ein Du als Adressat, ein Saxophon, eine Mundharmonika, entschleunigte Gitarrenmelodien je nach Stimmung mit Hall-, Distortion- und Wah-Wah-Effekten, swingende Rhythmen, die deine Galle lustig ins Schwappen bringen, einen Baumarkt, Blumen vom Spar, zu Herzen gehende Bierdeckelphilosophie sowie den Fassbinders Film entlehnten Liedtitel »Liebe ist kälter als der Tod«. Kaum ein Song, der nicht das Bedürfnis weckt, in einer Achtziger-Jahre-Disco mit einem unbekannten Mädchen eng zu tanzen. Oder auf einer Kreuzberger Pflastersteinstraße.
Element of Crime: Lieblingsfarben und Tiere (Universal), veröffentl. am 26.9.
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