Das Eckige im Runden

André Bücker inszenierte Wagners »Walküre« am Anhaltischen Theater Dessau, am Pult: Antony Hermus

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.

Als André Bücker in Dessau sein »Ring«-Projekt von hinten mit der »Götterdämmerung«, also dem größten Brocken des Vierteilers, begann, da war man versucht zu sagen: schlau gemacht. Denn man kann nie wissen, ob die kulturpolitischen Voraussetzungen für so ein Großprojekt in Sachsen-Anhalt über die Jahre erhalten bleiben. Jetzt haben es die Kulturpolitik in Magdeburg und eine bittere Kehrtwende in der Dessauer Kommunalpolitik auf der einen Seite sowie die Beharrlichkeit und der Kampfgeist des Generalintendanten und Regisseurs Bücker auf der anderen Seite tatsächlich geschafft, dass in einer bitteren dialektischen Pointe Hoffnung und Befürchtung gleichzeitig zutreffen: Sie werden den »Ring« in Dessau - das ist jetzt, nach dem dritten großen Teil, klar - mehr als nur achtbar zu Ende bringen.

Aber der durchaus geschickt mit der Dessauer Bauhaus-Ästhetik spielende Vierteiler, der zugleich ein imponierender musikalischer Leistungsnachweis des Hauses ist, wird der Abschluss von André Bückers Intendanz werden. Vielleicht gar die Begleitmusik zu einer leichtsinnig herbeigeführten oder zumindest in Kauf genommenen Theaterdämmerung. Zu den ersten Aktivitäten des neuen Dessauer Bürgermeisters (FDP) gehörte die Neuausschreibung der für eine Kommune so wichtigen Position. Dass Bücker den Hinweis, dass er sich doch auch bewerben könne, als puren Zynismus empfinden muss, wird klar, wenn man sich an das Schicksal des letzten Bauhaus-Direktors erinnert und die Sympathien bzw. unverhohlenen Antipathien des Magdeburger Kultusministers vor Augen führt.

Ein so traditionsreiches und für die ganze Region wichtiges Haus wie das Theater Dessau wird in Kürze ohne Generalintendanten, ohne GMD, mit einem bis unter die Funktionsgrenze eingeschrumpften Landeszuschuss, einem abgemagerten Schauspeil und einem Miniballett dastehen. Auf dieses Rahmenprogramm zur Götterdämmerung hätte man liebend gerne verzichtet.

Wenn unter solchen Bedingungen der Vorhang dennoch für ein so ambitioniertes Projekt wie geplant hochgeht und eine alles in allem beeindruckende »Walküre« ihre Premiere erlebt, dann ist das per se schon ein Riesenerfolg. Er ist es aber auch für sich genommen. Sicher, der erste Akt verläppert sich szenisch seltsam spannungslos. Aber Robert Künzli als Siegmund und vor allem Angelina Ruzzafante als Sieglinde gleichen das vokal aus.

Auf der Bühne von Jan Siegert gibt es wieder eine volle Dröhnung mit Videos von Frank Vetter und Michael Ott. Aber wer die anderen beiden Teile schon kennt, findet sich zurecht. Er erkennt bald den szenischen Weg hin zum bauhausaffinen Walküren-Würfel und in die Welt der Abbilder und Virtualisierung. Mit dem zweiten Aufzug, wenn Ulf Paulsen seinen Wotan als Filmboss in Hollywood mit komödiantischem Furor und imponierender Stimmgewalt ausstattet, wenn Rita Kapfhammer eine super Fricka hinlegt und dann Irodanka Derilova als Brünnhilde der Extraklasse mit Handtasche und Handy aufkreuzt und die Regie im Schmachtfetzen über Siegmunds Tod übernimmt, aber dann doch den vorgesehenen Lauf der Dinge aufzuhalten versucht, ist die szenische »Ring«-Welt in Dessau wieder in Ordnung.

Im Runden formt sich hier das Eckige - am Ende ist das aufgefächerte Konstrukt wieder genau jener Würfel (mit eingeschlossener Brünnhilde), über dessen weitere Verwendung wir schon bescheid wissen. Die gebogenen Riesenleinwände erlauben es, aus dem live gefilmten Lebensende von Siegmund einen Hollywood-Schinken vor imponierender Landschaftskulisse zu fabrizieren - in dem dann auch mal der (echte) Mount Rushmore auftaucht, als augenzwinkernder Gruß an den Roten im aktuellen Bayreuther »Ring« von Frank Castorf.

Dessau als Bayreuth des Nordens - das ist bislang auch deshalb noch kein Märchen aus uralten Zeiten, weil Antony Hermus und die Anhaltische Philharmonie einen fabelhaften Walküren-Sound draufhaben. Er überbrückt mit Grabenspannung auch die szenische Flaute im ersten Akt und schlägt sich in den folgenden beiden voll auf die Seite des Spielwillens und der imponierenden stimmlichen Qualitäten seiner Protagonisten. Jubel für das Ensemble, ein paar Buhs im Beifall fürs Regieteam und stehende Ovationen fürs Orchester!

Nächste Aufführung: 5.10.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!