Peking hat das letzte Wort
Nach den stürmischen Protesten soll es nun in Hongkong politische Gespräche geben
Unter dem Motto »Occupy Central« hatten sich die Führer der Bewegung in Hongkong auf drei zentrale Forderungen geeinigt: Rücktritt von Leung Chun-Ying, dem Regierungschef der Stadt, Reform des Wahlrechts für das Votum zur Stadtregierung im Jahre 2017 und Rücknahme der Entscheidung des Nationalen Volkskongresses in Peking, über die Kandidaten für diese Wahl mit zu bestimmen. Bis zur Stunde allerdings blieben alle drei Forderungen unerfüllt. Die Taktik von Regierungschef Leung und der Zentralregierung in Peking, die Proteste auszusitzen, scheint aufgegangen zu sein.
Die Händler und Geschäftsleute in der immer geschäftigen und quirligen Hongkonger Innenstadt hatten bereits über massive Umsatzeinbrüche geklagt und die Studenten zur Aufgabe gedrängt. Die Proteste fanden während der »Goldenen Woche«, der arbeitsfreien Feiertage zum chinesischen Nationalfeiertag in der Volksrepublik, statt. In dieser Zeit schwappt traditionell eine gigantische Welle von einkaufswilligen Touristen vom Festland nach Hongkong und die Umsätze schnellen in die Höhe. Dieses Jahr sollen über die Feiertage 40 Prozent weniger chinesische Touristen nach Hongkong gekommen sein, was zu erbitterten Debatten bis handfesten Auseinandersetzungen in der Stadt geführt hat.
Finanz- und Geschäftswelt beklagen außerdem unisono, dass die Proteste das Vertrauen in die Stabilität der Stadt untergraben und damit letztlich den Hongkongern selbst schaden würden. Der Einbruch der Kurse an der Hongkonger Börse vor den Feiertagen schien ihnen dann auch Recht zu geben.
Der Protest wird im Westen im Wesentlichen als Protest gegen die Regierung in Peking und deren Demokratieverständnis dargestellt. Gern vergessen wird dabei, dass sich die Aktionen der Studenten mindestens genauso gegen die herrschende Oberschicht, die wirtschaftliche Elite und die mit ihnen verbandelten Regierenden in Hongkong richtet. Die Forderung nach Demokratie und vor allem die nach dem Rücktritt des Chief Executive ist vor allem eine Forderung nach Veränderung in der politischen Kultur der Stadt.
Die gegenwärtige politische Struktur Hongkongs ist fest mit den Interessen der Wirtschaft und der Businesswelt verbunden. So werden beispielsweise 30 der 70 Sitze des Gesetzgebenden Rates (des Parlaments) in sogenannten »funktionalen Wahlkreisen« bestimmt. Deren Einrichtung geht noch auf die britische Kolonialherrschaft zurück, als der Gouverneur der Stadt einfach von der Queen in London ernannt und die Bevölkerung überhaupt nicht gefragt wurde. Diese Wahlkreise repräsentieren die Geschäftswelt und professionelle Interessengruppen der Stadt. Ihre Kandidaten werden wenig demokratisch in den Hinterzimmern der Macht ausgekungelt.
Hinzu kommt, dass die soziale Spaltung in Hongkong enorm zugenommen hat. Im vergangenen Jahrzehnt hat der sogenannte GINI-Koeffizient (mit dem die soziale Ungleichheit in einer bestimmten Region gemessen wird - d.A.) kontinuierlich die kritische 0,5-Punkte-Marke übertroffen und er steigt weiter. So beheimatet Hongkong einerseits die reichsten Menschen in Asien. Gleichzeitig leben 21 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze und weitere 20 Prozent an der Grenze zur Armut.
Hongkong gehört zu den teuersten Städten der Welt, die Immobilienpreise und Mieten bewegen sich in astronomischen Höhen. Eine durchschnittliche Wohnung in Hongkong kostet mehr als das dreizehn Mal so viel wie ein durchschnittliches Jahreseinkommen seiner Bewohner. Hinzu kommt ein wachsender Strom von Zuwanderern. Während es früher vor allem Arme aus Südostasien und Südasien nach Hongkong zog, so sind es heute Zuwanderer aus der Volksrepublik. Sie werden von den angestammten Hongkongern als Bedrohung empfunden, vor allem weil sie zunächst bereit sind, noch niedrigere Löhne und noch schlechtere Arbeits- und Lebensbedingungen zu akzeptieren.
In Peking reagiert man erleichtert auf das Ende der Proteste. Auch wenn ein Übergreifen auf das chinesische Festland schon aufgrund der verhängten dichten Informationssperre wenig wahrscheinlich war, so hat die Regierung in Peking weitaus größere Sorgen. Genannt seien nur die Minderheiten in Tibet oder Xinjiang, die abflauende wirtschaftliche Entwicklung, die soziale Spaltung der chinesischen Gesellschaft oder der Kampf gegen die Korruption in dem Riesenland.
Deshalb verweist man in Peking auch so gern auf das Prinzip »Ein Land, zwei Systeme«, wonach Hongkong sein politisches und wirtschaftliches System bis 2047 garantiert und weitgehende Autonomie gewährt werden. »Ein Land« bedeute allerdings auch, dass die finale Entscheidungsgewalt über die Zukunft der Stadt letztlich in Peking liegt - was den Hongkongern jetzt während der Proteste noch einmal eindringlich deutlich gemacht worden ist.
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