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Unter der Oberfläche

Im Kino: »Im Keller« von Ulrich Seidl

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Szene aus Loriots »Papa ante portas« ist berühmt: Die Gattin, von der Dauerpräsenz des frisch pensionierten Ehemanns in den oberen Etagen des Hauses genervt, verweist ihn auf den Keller. Da könne er doch ganz für sich tun, was immer ihm Spaß mache, basteln, werkeln, eben einen ganz normalen Hobbykeller haben! Des Pensionärs ängstlicher Frage, ob denn überall in den Kellern alte Männer seien, schließt sich seine zaghafte Bitte an, ob er nicht doch bitte oben bleiben könne.

Ulrich Seidl wendet sich in seinem neuen Dokumentarfilm denen zu, die nicht oben geblieben sind, sondern ganz unten, in den Kellern. In seinen zuletzt so erfolgreichen Spielfilmen wie »Import Export« und der »Paradies«-Triologie von 2012/13 »Glaube«, »Liebe«, »Hoffnung« hatte er das kollektive Unbewusste der Österreicher gleichsam unters Mikroskop gelegt. Nun greift Seidl zur handfesten Form der Unterwelt, den Kellern unter den kleinbürgerlichen Wohnzimmern. Das ist keine Überraschung, das war zu erwarten - und enttäuscht in eben dieser Folgerichtigkeit der Themenwahl auch irgendwie.

Denn was werden sie schon tun, die ganz normalen Österreicher in ihren Kellern? Gleich die erste Szene zeigt uns ein langgestrecktes Terrarium, darin eine ausgewachsene Riesenschlange und ihr Futter: ein Kaninchen, das ahnungslos der Schlange entgegenschnuppert. Der Keller: ein Ort der in uns verborgenen Angst und gleichzeitig der Versuch, diese Angst wieder zu bannen. Hier gehen dann Angst und Lust oft unheimliche Allianzen ein.

Seidl hat die Exzentriker unter den Kellerkindern Österreichs gesucht, immer hart an der Kante zur Kriminalität und Perversion. Gewiss, das ist die Nachtseite unserer durchsonnten Vernunft: die Albträume, die trotzdem immer wieder Gestalt annehmen.

Da ist der Betreiber eines Schießkellers, der demonstriert, wie schnell er in Westernmanier den Colt ziehen kann und dazu Gesangsproben gibt, die beweisen sollen, welch ein Verlust es sei, dass er niemals Opernsänger geworden ist. Nein, es ist nicht schade. Aber es zeigt, dass sich im Keller unseres Tagbewusstseins so manches dunkel Unausgelebte verbirgt. Hier mischen sich Realität und Fiktion, Wahrheit und Lüge. Da ist der kleinbürgerliche Nazi, der überm Partykeller-Sofa Hitler in Öl hängen hat und Hakenkreuze als Raumdekor benutzt. Da sind die ganz gewöhnlichen Partykeller mit traurigen Menschen unter Jagdtrophäen hinter der selbst gezimmerten Theke, an der sie sich immer nur selbst bedienen.

Ja, es sind einsame Menschen, die mit untauglichen Methoden versuchen, etwas Glück an sich zu reißen. Aber dann ist es wieder nur ein Latex-Lendenschurz, eine täuschend echte Babypuppe oder eine Peitsche. Die Sado-Maso-Keller bieten ohnehin nur das Erwartbare. Oder doch nicht ganz, wenn Seidl etwa eine gefesselte nackte Frau interviewt, die zwischen zwei Runden Züchtigung mit der Peitsche erklärt, sie brauche das regelmäßig, um mal ganz abzuschalten, ganz bei sich zu sein. Im Privatleben betreut sie misshandelte Frauen. Da ist man dann doch - was selten in diesem Film passiert - überrascht.

Sieht man die eisig-gemeine Frau, die ihren Ehemann als »Haussklaven« (genannt »das Schwein«) hält, der sich ständig nackt auf allen vieren an Halsband und Leine durchs Haus bewegen muss und zu jeder Misshandlung (das Klo mit Zunge auslecken, am Hodensack mittels Flaschenzug gen Zimmerdecke gezogen werden und vieles mehr) nur immer devot »Gewiss, Herrin« sagt, dann weiß man nicht, wann hier wer den richtigen Zeitpunkt verpasst hat, die Polizei zu rufen.

Gelegentlich scheint sich selbst bei Ulrich Seidl das Unbehagen am selbst gewählten Kellerthema bis zum Widerwillen gesteigert zu haben. Im Interview sagte er dazu: »Oft lassen mich das Erlebte und Gesehene nicht mehr los. Oft schließt man erschüttert die Tür hinter sich, oft auch bin ich niedergeschlagen von Ahnungen, was Menschen einander antun, und dass sie das oftmals nicht in böser Absicht tun. Es ist das Normale.«

Nicht darüber, was »normal« ist, drängt uns »Im Keller« nachzudenken, sondern darüber, wie banal doch die meisten Versuche der meisten Menschen sind, ihr Leben auf ungewöhnliche Weise zu leben. Und wie hässlich dazu.

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