Unwort des Jahrhunderts

»Lügenpresse«: Medienkritik, Medienverdrossenheit, Medienverachtung

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist eine simple Tätigkeit, die doch nur durch viel Talent bewerkstelligt werden kann: Wer den Gang der Mediendebatte bestimmen will, muss seine Begriffe in selbige einfließen lassen, wie Honig in ein warmes Glas Milch - das Getränk sieht zwar noch wie ein Muntermacher aus, doch sein Geschmack ist von betäubender Süße - vorausgesetzt, man hat die richtige Dosierung getroffen.

Wie das funktioniert, zeigen seit einigen Wochen die gut organisierten Kader des deutschen Rechtsextremismus. In Dresden gelingt es ihnen Woche für Woche, Zehntausende unter dem Label »Pegida« auf die Straße zu bringen. Demonstranten halten dort Schilder hoch, auf dem in großen Lettern das Wort »Lügenpresse« zu lesen ist. Beide Begriffe - »Pegida« wie »Lügenpresse« - sind mittlerweile Bestandteile des Mediendiskurses. Während »Pegida« zum Markenzeichen einer Bürgerbewegung geworden ist, die zumindest anfänglich von den meisten Medien ohne Verweis auf ihren rechtsextremen Ursprung wahrgenommen und kommentiert wurde, hat sich die Rede von der »Lügenpresse« als Sammelbegriff der Medienbeschimpfung - von links bis rechts - etabliert.

Beiden gemein ist die Wirkung: Selbst im negativen Bezug der Medien auf die Begriffe wird Werbung für die Ziele der hinter »Pegida« stehenden Ideologie betrieben. In diesem Sinne haben die Sprachwissenschaftler aus Darmstadt, die am Dienstag »Lügenpresse« zum Unwort des Jahres 2014 kürten, für die Initiatoren von »Pegida« gearbeitet. Der Dresdner Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Donsbach hat deren Strategie kürzlich in einem Interview so beschrieben: Mit dem Begriff »Lügenpresse« transportierten die Organisatoren von »Pegida« zwar keine detaillierte Botschaft, sie drückten aber eine allgemeine Befindlichkeit aus: die Unzufriedenheit mit der etablierten Politik und den Medien, die in eins gesetzt werden.

Diese Unzufriedenheit aber - und das macht den Begriff so gefährlich wie relevant - wurzelt in der Tat in einer zunehmenden Distanz der Leser, Zuhörer und Zuschauer zur journalistischen Elite. In den Augen einer wachsenden Zahl von Menschen berichten alle Medien nicht mehr so, dass die imaginären Normalbürger sich damit identifizieren können. Diese Medienverdrossenheit schlägt umso schneller in Medienverweigerung um, je mehr sich die Kanäle des Internets vom Alternativmedium zum Leitmedium wandeln. Ein Bild wie z.B. jenes, das den Augenblick des Hissens der Flagge der Sowjetunion auf dem Reichstagsgebäude am 2. Mai 1945 zeigt, wurde erst Jahrzehnte später als Inszenierung identifiziert (in Wahrheit wurde die Siegesfahne bereits am 30. April gehisst). Das Bild konnte so Eingang in das kollektive Gedächtnis finden. Der Aufmarsch der Politiker in Paris, die sich am Wochenende nur scheinbar an die Spitze des Trauerzuges zum Gedenken an die Ermordeten setzten, war dagegen in kürzester Zeit als Schauspiel offenkundig. Medien, die hierzulande die Bilder von der angeblichen Einheitsfront aus Volk und Herrschaft ohne Verweis auf die Inszenierung verbreiteten, waren somit schnell als Teil der »Lügenpresse« identifiziert.

Die Strategie, Zwischentöne leise zu stellen, ist nicht neu; sie gehört zum Geschäft der politischen Propaganda seit jeher. Bereits der oberste Propagandist der Nationalsozialisten, Joseph Goebbels, adaptierte die Rede von der »Lügenpresse« für den Nazijargon von den völkischen Nationalisten des frühen 20. Jahrhunderts, die damit kommunistische, sozialdemokratische und liberale Medien denunzierten. Goebbels hatte auch erkannt, dass man einen Begriff nur dann erfolgreich ins kollektive Bewusstsein implementieren kann, wenn er erstens einen komplexen Vorgang vereinfachend beschreibt, zweitens in seiner Definition im Ungefähren bleibt und somit drittens sich in den unterschiedlichsten Bedeutungszusammenhängen als Vorwurf erheben lässt.

Des Vorwurfs der »Lügenpresse« konnten sich so auch andere politische Lager bedienen. In der Studentenbewegung der 1960er Jahre in der BRD waren es die Medien des Springer-Konzerns, die als »Lügenpresse« angeprangert wurden, und auch in dieser Zeitung war das Wort bis Anfang der 1970er Jahre in Gebrauch - wahlweise mit dem Attribut »kapitalistische«, »bürgerliche« oder »Bonner« versehen.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.