Unter der Asche die Wut
Das Stimmungsgemisch aus Ressentiment und Enttäuschung, für das Pegida steht, hat sich jahrelang aufgebaut
Monatelang hat die Pegida-Bewegung samt allen Ablegern und Nachahmern für zweifelhafte Furore gesorgt; jetzt zerlegt sich die umstrittene Bewegung womöglich selbst. Das wäre das Prinzip Hoffnung, das durchaus Fürsprecher findet. Beispielsweise den Präsidenten des nächsten Deutschen Evangelischen Kirchentags, Andreas Barner. »Die verschwinden gerade wieder. Das halte ich für das Beste, was passieren kann«, sagte der Konzernmanager dieser Tage, und es hörte sich an wie ein Stoßseufzer. Und im sozialen Netzwerk Twitter frohlockte ein Nutzer nach der Spaltung der Pegida-Führung, er freue sich schon auf den ersten Montag seit langem ohne Berichte über ausländerfeindliche Aufmärsche.
Ob es alsbald dazu kommt, bleibt abzuwarten. Die »alte Pegida-Bewegung in ihren Resten ebbt ab«, glaubt etwa der Politikwissenschaftler Hajo Funke. Dennoch gebe es »ein großes Potenzial an Verunsicherung in der Bevölkerung und damit auch ein großes Potenzial für weitere Demonstrationen«. Das ist der Punkt, an dem die Politik schwer zu kauen hat: So diffus die rechts gestrickte Proteststimmung auch ist, so greifbar ist sie in der zur Schau gestellten Masse. Der Dresdner Politologe Werner Patzelt, dieser Tage im Internet gern mal als Pegida-Versteher verspottet, hat die Wutbürger bei seinem Erklärungsversuch in etwas wunderliche Kategorien eingeteilt: Da gebe es »besorgte Gutwillige« und »empörte Gutwillige«. Große Teile der Demonstranten empfänden sich als »deutsche Patrioten«. Das klingt übrigens um einiges deutlicher als das Pegida-Label »Patriotische Europäer«.
Zum Glück hat sich ziemlich schnell eine massive demokratische Gegenbewegung entwickelt; die Zahl der über Pegida und Co. Empörten ist fast immer weit größer als die Zahl der mit Pegida Empörten. Dennoch muss sich die Politik, die zu erheblichen Teilen dem Phänomen Pegida immer noch verblüfft und etwas hilflos gegenüber steht, Fragen nach den Gründen stellen. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat dazu für sich ganz persönlich eine erste Antwort gefunden: Er hat - »als Privatmann« im Skianorak - eine Versammlung von Pegida-Anhängern in Dresden besucht, hat zugehört und diskutiert. Das hat ihm Kritik aus vielen Richtungen eingetragen; aber was ist eigentlich dagegen einzuwenden, wenn Politiker versuchen, dem schamlosen Beutezug der rechtspopulistischen AfD etwas entgegenzusetzen?
»Wir sollten nicht glauben, bloß weil der Spuk auf den Straßen abnimmt, hätten sich die Probleme von selbst erledigt«, meinte Gabriel jüngst. Dem wäre hinzuzufügen: So wie die krude Gedankenwelt vieler Protestler nicht über Nacht verschwindet, ist sie auch nicht in ein paar Tagen entstanden. Der LINKE-Bundestagsabgeordnete Roland Claus hat da einschlägige Erfahrungen. Claus kommt aus Sachsen-Anhalt und hat beispielsweise von Kaufhäusern und Baumärkten seit langem die Erlaubnis, im Eingangsbereich öffentliche Sprechstunden abzuhalten - raus aus dem Wahlkreisbüro, rein ins Leben. »Dort habe ich seit Jahren Pegida, obwohl es damals noch nicht so hieß«, sagt Claus gegenüber »nd«. Salopp formuliert: »Da kriegst du jeden Frust ab.« Vornehm formuliert: Kritisches Potenzial verbindet sich mit nationalen oder gar nationalistischen Ansichten und einer generellen Ablehnung des politischen Systems in Deutschland. Spürbar anschwellend etwa nach Beschlüssen zur Erhöhung der Abgeordnetendiäten. Eine Hitliste des Bürgerfrusts, wie er Roland Claus begegnet, liest sich wirr und beängstigend: »Die da oben verstehen uns nicht mehr. Auf allen wichtigen Posten sitzen Wessis. Quatsch, dass wir im Osten nichts konnten. Die Amis machen in der Welt, was sie wollen. Hollywood ist komplett in der Hand von Juden. Deutschland ist kein souveränes Land.« Und so weiter. Das gewisse Quantum Wahrheit darin macht die Gesamtmischung so brisant - vor allem, wenn sich ein solches Wutpotenzial hinter ausländerfeindlichen Parolen versammelt.
Der Dresdner Politologe Patzelt hat ein schönes Bild für den Ausbruch des kollektiven Unmuts gefunden. Ostdeutschland und insbesondere Dresden seien prädestiniert dafür, »dass sich dieses Magma von Unzufriedenheit genau hier in dieser Vulkaneruption ergossen hat«, meinte Patzelt in einer Studie und fügte hinzu: »Jetzt regnet es nur noch Asche.« Mag sein, aber das heißt eben nicht, dass nun alles wieder wird wie vorher, womöglich sogar gut. Unter der Asche glimmt weiter die Wut. Und es könnte jederzeit ein Brandstifter kommen, der wieder hineinbläst.
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