Wer ließ das Eurogruppen-Treffen scheitern?
Diplomaten: Schäuble reiste vor Vorliegen einer Erklärung ab / Varoufakis: Athen hat kein Veto eingelegt / Griechenland und europaweit: Zehntausende Menschen demonstrieren Unterstützung mit SYRIZA-Regierung
Update 17.35 Uhr: Bundesbank-Präsident Jens Weidmann hat die von der SYRIZA-geführten Regierung in Griechenland geforderten Lockerungen des Kreditprogramms strikt abgelehnt. »Griechenland wird weiter Hilfe brauchen, aber Hilfe kann es nur geben, wenn die Vereinbarungen eingehalten werden«, sagte Weidmann laut einem vorab verteiltem Redetext am Donnerstag in London. Ohnehin würden weitere Erleichterungen beim Schuldendienst die Liquidität im Land kaum erhöhen, weil die Zinsen bereits sehr niedrig und die Laufzeiten sehr lang seien. »Jede weitere Lockerung der Vereinbarungen wäre kontraproduktiv für das Ziel, das Vertrauen der Investoren in Griechenlands Schuldentragfähigkeit zu erhöhen«, so Weidmann: »Und das würde zulasten der Steuerzahler in den anderen Euro-Ländern gehen.« Zudem würde es die Aufgabe der anderen Regierungen erschweren, das zu rechtfertigen, was Weidmann als Reformen bezeichnet.
Update 17.20 Uhr: Wegen säumiger Steuerzahler hat der griechische Staat seine Haushaltsziele zu Jahresbeginn kräftig verfehlt. Blendet man die riesigen Zinszahlungen aus, sprang unter dem Strich zwar ein kleiner Überschuss von 443 Millionen Euro heraus, wie das Finanzministerium am Donnerstag mitteilte. Geplant war aber ein so genannter Primärüberschuss von 1,366 Milliarden Euro. Ein Primärüberschuss spielt im griechischen Schuldendrama eine wichtige Rolle, weil er als Bedingung für mögliche weitere Kredite der internationalen Geldgeber gilt. 2013 hatte Athen erstmals seit zehn Jahren wieder einen Primärüberschuss erreicht. Einschließlich der Zinsen, die auf die aufgenommenen Schulden zu zahlen sind, klafft aber weiter ein enormes Loch im Etat. Der Primärüberschuss ist dennoch wichtig, weil er auch anzeigt, wie Griechenland zum Beispiel bei der Kontrolle der Kosten für den Staatsapparat vorankommt. Grund für die schlechte Entwicklung waren nach Schätzungen der griechischen Finanzpresse die Wahlen im Januar. Zehntausende Bürger hätten ihre Steuern und andere Schulden an den Staat nicht gezahlt. Viele hätten auf Steuererleichterungen nach dem Sieg der Linkspartei SYRIZA gehofft, schreiben übereinstimmend griechische Wirtschaftsblätter. Weitere Informationen zum Thema Primärüberschuss finden sich hier.
Update 16.10 Uhr: Bundeskanzlerin Angela Merkel hält im Schuldenstreit mit Griechenland eine Kompromiss für möglich. »Europa hat es immer ausgezeichnet, Kompromisse zu finden«, sagte Merkel am Donnerstag unmittelbar vor dem EU-Gipfel in Brüssel. Dabei müssten Vorteile die Nachteile überwiegen. »Deutschland ist dazu bereit«, sagte Merkel. Für die Glaubwürdigkeit Europas sei es aber auch notwendig, Regeln einzuhalten. »Noch haben wir ja ein paar Tage Zeit«. Sie freue sich auf ihr erstes Treffen mit dem neuen griechischen Regierungschef Alexis Tsipras, fügte Merkel hinzu.
Update 14.55 Uhr: Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) hat in der Debatte um Kredite für Griechenland einer Lockerung der Kürzungsauflagen für das Land eine klare Absage erteilt. »Wir halten unsere Zusagen ein, aber für Zugeständnisse an Griechenland gibt es keinen Spielraum«, sagte Kauder der »Rheinischen Post«. Griechenland könne nicht ständig eine Sonderbehandlung beanspruchen. Der Unionspolitiker betonte: »Die Griechen können sicher eine Politik machen, wie sie sie für richtig halten. Dann müssen sie aber die Finanzierung dafür selbst finden. Der deutsche Steuerzahler ist nicht dafür zuständig, die Wahlkampfversprechen von Herrn Tsipras zu begleichen.«
Update 13.25 Uhr: Der griechische Regierungschef Alexis Tsipras hat vor dem EU-Gipfel seine Forderung nach einem Kurswechsel in Europas Krisenpolitik bekräftigt. »Wir befinden uns an einem entscheidenden Wendepunkt für Europa«, sagte Tsipras bei einem Treffen mit dem belgischen Ministerpräsidenten Charles Michel am Donnerstagvormittag in Brüssel. Die Zeit sei gekommen, dass Europa seine Politik gegenüber Griechenland ändere. »Wir brauchen eine Agenda, die auf Wachstum und auf dem Respekt für den sozialen Zusammenhalt gründet.« Tsipras wird nach dem Regierungswechsel Ende Januar erstmals an einem EU-Gipfel teilnehmen. Der belgische Regierungschef Michel bezeichnete die Lage als »schwierig«. Nötig sei nun »Entschlossenheit«, um eine Einigung zu erreichen. Jeder müsse nun »die notwendigen Anstrengungen für eine ehrenvolle Übereinkunft« unternehmen. »Europas Zauber bestand immer darin, Lösungen zu finden, wenn dies unmöglich erschien«, sagte Michel. »Ich bin überzeugt, dass dieser Zauber am Ende funktionieren wird.«
Update 13.15 Uhr: Der griechische Finanzminister Yanis Varoufakis hat sich gegen die Darstellung in einem Blog der »Financial Times« gewehrt, er habe der gemeinsamen Erklärung des Eurogruppen-Sondertreffens bereits zugestimmt, die Regierung in Athen habe dann aber ihr Veto eingelegt. »Ich würde vorschlagen, dass Sie solche fragwürdigen Behauptungen unterlassen, die auf noch fragwürdigeren Enthüllungen beruhen«, schrieb Varoufakis auf Twitter. »Das ist ziemlich ungehörig.« Über den Grund für das Scheitern gab es am Donnerstag weiter unterschiedliche Darstellungen. Diplomaten zufolge war ein Entwurf für eine Abschlusserklärung praktisch fertig, als Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) das Treffen verließ. Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem musste dann kurz nach Mitternacht jedoch das Scheitern erklären - so schildert es die AFP.
Aus griechischen Quellen verlautete, Varoufakis habe einer Fassung der Erklärung zugestimmt, in der von einer »Änderung und Verlängerung« sowie von einem »erfolgreichen Abschluss« des umstrittenen Kreditprogramms die Rede war. Die deutsche Seite habe dann den Begriff »Änderung« streichen wollen – dem habe die griechische Seite nicht zugestimmt. Angeblich sei dann ein Entwurf der Vereinbarung an die Presse lanciert worden, in dem der Begriff »Änderung« fehlte. In eine ähnliche Richtung geht ein Bericht des britischen Fernsehsenders Channel 4, der sich auf Unterhändler der griechischen Regierung berief.
Die Deutsche Presse-Agentur hatte indes berichtet, »dem Vernehmen nach« habe Varoufakis seine Zustimmung zu der Erklärung zurückgezogen, nachdem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble das Sondertreffen verlassen hatte. Ein Sprecher von Schäuble war von der Nachrichtenagentur Bloomberg mit den Worten zitiert worden, Griechenlands Finanzminister Varoufakis habe der Erklärung schon zugestimmt gehabt, nach der Abreise von Schäuble aber weitere finanzielle Zugeständnisse gefordert. Angeblich habe Varoufakis keine Zustimmung für die zuvor erzielte Einigung aus Athen bekommen. Auch laut der griechischen Zeitung »Kathimerini« hatte Varoufakis bestritten, dass es Druck aus Athen während des Sondertreffens der Eurogruppe gegeben habe.
Update 12.05 Uhr: Unmittelbar vor dem EU-Gipfel in Brüssel hat der finnische Ministerpräsident Alexander Stubb den Druck auf die griechische Regierung erhöht. »Die Zeit für Griechenland läuft ab«, sagte Stubb am Donnerstag in Brüssel. Das gescheitere Treffen der Eurozone in der Nacht habe gezeigt, dass 18 Länder gegen ein einziges stünden. Europa habe aber immer wieder seine Fähigkeit bewiesen, auch in schwierigen Lagen doch noch zu Lösungen zu kommen. Die neue griechische SYRIZA-geführte Regierung lehnt eine weitere Umsetzung der Sparauflagen der internationalen Geldgeber. Am Montag kommen die Finanzminister der Eurogruppe zu einer neuen Krisensitzung zusammen.
Update 8.15 Uhr: Der stellvertretende Unions-Fraktionsvorsitzende Hans-Peter Friedrich hat die SYRIZA-geführte Regierung in Athen als »Halbstarke« diffamiert. »Griechenland kann sich nicht aufführen wie die Halbstarken, so dass am Ende alle froh sind, wenn irgendwas erreicht wird«, sagte der CSU-Politiker im Deutschlandfunk. Friedrich zog erneut die rote Haltelinie der Bundesregierung im Streit um die europäische Krisenpolitik: Man werde keinen Veränderungen in der Substanz der Programme zustimmen, die der griechischen Regierung im Gegenzug zur Krediten abverlangt wurden. Die Spardiktate hätten bei aller Härte Wirkung gezeigt.
Update 8 Uhr: Ein Signal der Solidarität mit der SYRIZA-geführten Regierung in Athen haben am Mittwoch Tausende in vielen Städten gezeigt. Überall in Europa und auch in den USA gingen Menschen auf die Straße, um gegen die deutsch-dominierte Krisenpolitik in Europa zu protestieren und für einen Kurswechsel einzutreten. Laut dem Bündnis Blockupy unterstützten Zehntausende den Widerstand der neuen griechischen Regierung gegen das Spardiktat der Troika. Aktionen habe es unter anderem in Kopenhagen, Stockholm, London, Brüssel, Paris, Porto, Lissabon, Frankfurt am Main, Bremen, Berlin, München, Köln, New York sowie in mindestens zehn Städten in Italien gegeben. Eine Auswahl von Bilder von den Aktionen findet sich hier. Eine Übersicht mit geplanten Aktionen gibt es hier.
Griechenland: Eurogruppe ohne Einigung über Krisenkurs
Berlin. Das Sondertreffen der Finanzminister der Eurozone zu Griechenland ist ohne greifbare Fortschritte zu Ende gegangen. Beide Seiten konnten sich weder auf eine Abschlusserklärung noch auf konkrete Schritte für die kommenden Tage einigen, wie Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem in der Nacht zum Donnerstag in Brüssel sagte. Am Montag wird ein neuer Anlauf unternommen.
Nach Angaben aus Athen habe die SYRIZA-geführte griechische Regierung eine Verlängerung des bisherigen Programms aus Krediten und Sparvorgaben »nicht akzeptiert«, hieß es aus Regierungskreisen. Griechenland habe bei den Gesprächen in Brüssel auf das »Scheitern« der bisherigen Spar- und Reformpolitik und eine »humanitäre Krise« im Land verwiesen. Die Verhandlungen mit den Euro-Partnern würden aber fortgesetzt, um »eine für alle vorteilhafte Einigung zu erzielen«.
Griechenlands Hilfsprogramm läuft Ende Februar aus, ohne weitere Unterstützung droht dem hoch verschuldeten Land die Staatspleite. Dennoch will die neue linksgeführte Regierung in Athen das Programm nicht verlängern und einen Teil der mit den internationalen Gläubigern vereinbarten Reformen zurücknehmen - also tausende Beamter wieder einstellen, den Mindestlohns wieder erhöhen und Privatisierungen stoppen.
Der griechische Finanzminister Giannis Varoufakis sprach in Brüssel von »einer guten, ausführlichen und konstruktiven Diskussion«. Ziel seiner Regierung sei »eine neue Vereinbarung« mit Europa, »damit Griechenland aus den Schlagzeilen kommt«. Es habe in den Gesprächen viele verschiedene Meinungen gegeben. Er hoffe nun, dass es beim regulären Treffen der Finanzminister der Eurozone am Montag zu einer Einigung komme, »die sowohl für Griechenland als auch für unsere europäischen Partner optimal ist«.
Im Verlauf des Treffens in Brüssel war intensiv am Entwurf einer Erklärung gefeilt worden, wie Diplomaten mitteilten. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) reiste in einer Phase ab, als eine gemeinsame Position noch möglich schien. Die Einigung platzte aber dann überraschend noch. Die Deutsche Presse-Agentur meldete, dem Vernehmen nach habe der neue griechische Finanzminister Gianis Varoufakis seine Zustimmung zu der Erklärung zurückgezogen, nachdem Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble das Sondertreffen verlassen hatte.
Ein Sprecher von Schäuble wird von der Nachrichtenagentur Bloomberg mit den Worten zitiert, Griechenlands Finanzminister Varoufakis habe der Erklärung schon zugestimmt gehabt, nach der Abreise von Schäuble aber weitere finanzielle Zugeständnisse gefordert. Angeblich habe Varoufakis keine Zustimmung für die zuvor erzielte Einigung aus Athen bekommen. Laut der griechischen Zeitung »Kathimerini« bestritt Varoufakis, dass es Druck aus Athen während des Sondertreffens der Eurogruppe gegeben habe.
EU-Währungskommissar Pierre Moscovici sprach dennoch von einem »nützlichen Treffen«. Dabei habe es Bereitschaft gegeben, sowohl den Willen der griechischen Wähler als auch die von Griechenland eingegangenen Verpflichtungen zu respektieren. Aber »trotz guter Anstrengungen« habe es für eine gemeinsame Position nicht gereicht.
Das »Handelsblatt« zitierte Belgiens Finanzminister Johan van Overtveldt mit den Worten, es sei unklar, in welche Richtung die Verhandlungen beim nächsten Treffen am Montag nehmen würden. »So wie es heute war, ging es von links nach rechts und von oben nach unten, und so ist es schwierig, einen Mittelwert daraus zu ziehen. Aber es wird weiterhin eine sehr schwierige Diskussion sein«, zitiert das Blatt Van Overtveldt.
In Athen und Thessaloniki sowie in weiteren Städten waren am Mittwochabend mehr als 20.000 Menschen zur Unterstützung ihrer Regierung auf die Straße gegangen. »Schluss mit der Austeritätspolitik« und »Gebt Griechenland eine Chance«, hieß es in Sprechchören und auf Transparenten. Die Demonstranten protestierten gegen das »Diktat der Troika« aus Internationalem Währungsfonds (IWF), Europäischer Kommission und Europäischer Zentralbank (EZB). Auf vielen Schildern hieß es: »Wir sind nicht Merkels Kolonie.«
Nach Angaben aus dem griechischen Finanzministerium von Anfang der Woche will Athen 70 Prozent seiner bisherigen Reform-Verpflichtungen erfüllen, 30 Prozent aber durch eigene »maßgeschneiderte« Reformen ersetzen. Eine entsprechende Vereinbarung soll am 1. September in Kraft treten, bis dahin soll offenbar ein Überbrückungskredit die Finanzierung sichern. Agenturen/nd
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.