Zu viele Eingeweihte im Fall Edathy
NDR-Bericht: 57 Personen wussten offenbar im Vorfeld von Ermittlungen gegen Ex-Abgeordneten / Kinderschutzbund kritisiert zu schwaches Sexualstrafrecht
Hannover. Der Kreis der Eingeweihten im mutmaßlichen Kinderporno-Fall Sebastian Edathy war nach Informationen des NDR größer als angenommen. 57 Politiker, Ermittler und Amtsträger in Niedersachsen sollen demnach bereits vor den Hausdurchsuchungen bei Edathy von dem Verdacht gewusst haben. Entsprechende Unterlagen sollen dem NDR-Fernsehmagazin »Hallo Niedersachsen« vorliegen. Sie geben auch Aufschluss über die Wege, auf denen diese Personen informiert wurden, dass sich Edathys Name auf einer Liste im Zusammenhang mit Ermittlungen wegen des Erwerbs kinderpornografischer Schriften befindet. Dies bezieht sich auf den Zeitraum vor der ersten Hausdurchsuchung bei Edathy im Februar vergangenen Jahres.
Kurz vor Beginn des Edathy-Prozesses an diesem Montag vor dem Landgericht Verden kritisierte der Deutsche Kinderschutzbund die Rechtfertigungsversuche des ehemaligen SPD- Bundestagsabgeordneten. »Herr Edathy hat nicht verstanden, dass es sich um eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte von Kindern handelt,« erklärte Kinderschutzbund-Präsident Heinz Hilgers im Interview mit Yahoo Nachrichten. Edathy hatte sein Verhalten unter anderem mit Verweis auf die Kunstgeschichte und den männlichen Akt verteidigt. Die Staatsanwaltschaft Hannover wirft dem 45-Jährigen vor, via Internet Kinderpornos gekauft zu haben. Edathy hat dies bislang abgestritten.
Im Zuge der so genannten »Edathy-Affäre« wurde vom Bundestag im vergangenen Jahr das Sexualstrafrecht verschärft. Wer Kinder nackt ablichtet, um die Aufnahmen zu verkaufen oder tauschen, macht sich seitdem strafbar. »Einen umfassenden Schutz der Persönlichkeitsrechte der Kinder hat die Bundesregierung nicht erreicht«, kritisiert Hilgers, da die neuen Gesetze nur auf Bilder mit sexualisierten Posen abzielten. »Mit den Fotos von Kindern sollte generell nicht gehandelt werden dürfen«, sagte er. »Dennoch ist das Gesetz ein Schritt in die richtige Richtung.«
Hilgers fordert deshalb eine Aufstockung des Polizeipersonals. Man müsse an die ran, die diese Bilder produzierten oder mit ihnen handeln. »Das sind die eigentlichen Verbrecher. Und da ist es ganz wichtig, dass der Staat nun endlich Geld in die Hand nimmt und mehr Polizisten dort ermitteln lässt.«
Der Prozess dürfte wegen gleich mehrerer Faktoren unter besonderem medialen Interesse stehen. Am Freitag wurde bekannt, dass gegen den Celler Generalstaatsanwalt Frank Lüttig Ermittlungen wegen eines möglichen Geheimnisverrates unter anderem im Fall Edathy eingeleitet wurden. Zum anderen versucht ein Untersuchungsausschuss des Bundestages parallel zu klären, ob Edathy von Parteifreunden über die gegen ihn laufenden Ermittlungen gewarnt wurde.
Lüttig soll interne Ermittlungsdetails - nach dpa-Informationen aus dem Abschlussbericht der Ermittler - an Journalisten weitergegeben haben. Die Staatsanwaltschaft Göttingen prüft ferner, ob sich Lüttig auch in sieben weiteren Fällen aus dem bereits abgeschlossenen Prozess gegen Ex-Bundespräsident Christian Wulff mit Durchstechereien strafbar gemacht hat.
Im Fall Edathy könnten die Ermittlungen gegen Lüttig je nach Würdigung des Gerichts durchaus Auswirkungen auf den Prozessverlauf haben. Zwar könne ein Prozess wegen durchgesickerter Informationen nicht platzen, erläuterte der Richter am Landgericht Lüneburg, Harald Natho. Aber: »Denkbar ist etwa, dass durch eine vorzeitige Bekanntgabe von Ermittlungsergebnissen die Aussagen von Zeugen oder die Einlassungen des Beschuldigten beeinflusst werden.«
Im Falle einer Verurteilung drohen Edathy laut Gesetz bis zu zwei Jahre Gefängnis oder eine Geldstrafe. Das Gericht wies aber bereits darauf hin, dass ein Strafmaß »eher im unteren Bereich« zu erwarten sei, weil es sich »um vergleichsweise wenige Taten mit einer noch begrenzten Anzahl an Zugriffen« handele.
Bereits die Ermittlungen gegen Edathy hatten das politische Berlin durcheinandergewirbelt. Bundesagrarminister Hans-Peter Friedrich (CSU) war zurückgetreten, weil er als damaliger Innenminister die SPD-Spitze gewarnt hatte - wohl um während der Koalitionsbildung eine Amtsvergabe an Edathy und damit einen später möglichen Skandal zu verhindern. Bis heute ist ungeklärt, ob und von wem Edathy aus den Reihen der SPD über die gegen ihn laufende Polizeiarbeit auf dem Laufenden gehalten wurde - viele sprechen deshalb längst von einer SPD-Affäre. Edathy selbst hat den rheinland-pfälzischen SPD-Bundestagsabgeordneten Michael Hartmann als Quelle genannt. Dieser bestreitet den Vorwurf aber.
Für das Strafverfahren in Verden ist die politische Dimension der Affäre mit Fragen zum möglichen Geheimnisverrat oder gar zu einer Strafvereitelung unerheblich. Hier soll lediglich geklärt werden, ob Edathy im November 2013 kinderpornografische Video- und Bilddateien aus dem Internet heruntergeladen hat. Zudem soll er laut Anklage einen Bildband und eine CD besessen haben, deren Inhalt von der Staatsanwaltschaft als jugendpornografisch eingestuft wird. nd mit Agenturen
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