Empörung auf allen Ebenen
Im Bündnis mit der Partei der Indignados »Podemos« wollen »Bürgerkandidaturen« in Spanien den Volksparteien auch lokal die Macht nehmen
Nichts weniger als die »demokratische Revolution« steht in Spanien auf der Tagesordnung, denn die Empörten wollen im Superwahljahr der griechischen Linkspartei SYRIZA folgen. Darin waren sich Pablo Iglesias, Generalsekretär der neuen Partei »Podemos« (Wir können es), und Ada Colau bei ihrem gemeinsamen Auftritt in Barcelona kürzlich einig. Colau stieß aus der katalanischen Metropole ihre Initiative für die Kommunalwahlen im Mai an, die sich schnell in ganz Spanien ausgebreitet hat. Sie führt in Barcelona das Bündnis »Guanyem« (Wir siegen) an, um über die »Bürgerkandidatur« die Macht im Rathaus zu übernehmen.
Iglesias und Colau kommen beide aus der Empörten-Bewegung, die 2011 mit Platzbesetzungen, Demonstrationen und vielfältigen Aktionen weltweit Aufsehen erregte. Der 36-jährige Politologieprofessor unterstützte danach aus Madrid über Alternativsender Streiks und Proteste, die sich gegen Arbeitsmarktreformen, Lohnkürzungen, Bankenrettungen, Privatisierungen sowie Einschnitte ins Bildungs- und Gesundheitssystem wendeten. Diese Maßnahmen wurden auch Spanien im Gegenzug für die milliardenschwere Bankenrettung auferlegt. Gemeinsam mit Kollegen der Universität unterfütterte Iglesias die Proteste ideologisch und gründete mit ihnen 2014 Podemos.
Colau blieb der Basisarbeit treu. So unterstützt sie Menschen, die von Zwangsräumungen betroffen sind, weil sie wegen grassierender Arbeitslosigkeit ihre Hypotheken nicht mehr abbezahlen können. Dass diese Menschen ausgerechnet von mit Steuergeld geretteten Banken auf die Straße gesetzt werden, ließ Colau die Plattform der Hypothekengeschädigten (PAH) mitbegründen. Die PAH breitete sich rasch von Barcelona über das ganze Land aus. Die Initiative verhindert mit friedlichen Mitteln Räumungen und bietet gleichzeitig bereits 2500 Menschen über Besetzungen von leerstehenden Wohnblocks ein Dach über dem Kopf,
Mit Unterstützung ihrer Basis will die 40-jährige Colau, die ihr Philosophiestudium nicht abschloss, nun am 24. Mai das Rathaus in Barcelona bei den Kommunalwahlen erobern. Dazu wurde Guanyem gegründet, wofür Colau den Posten als PAH-Sprecherin abgab. Eine ihrer Mitstreiterinnen ist Nuria Vila. Die Journalistin gehört zu den »Traum-Schmugglern«, wie sie sich selbst nennen. Sie hat daran mitgewirkt, dass sich die Bürgerkandidaturen wie einst die PAH schnell in ganz Spanien ausgebreitet haben. Vila arbeitet in einer Kommission, die Ortsgruppen von »Ganemos« koordiniert - die spanische Übersetzung von Guanyem. Sie mischt auch in Podemos mit und bildet eine Brücke zwischen beiden Organisationen, die sich in vielen Städten gegenseitig ergänzen.
Denn Podemos tritt nicht zu den Kommunalwahlen an, konzentriert sich auf die gleichzeitig stattfindenden Wahlen in 13 von 17 Autonomien - den deutschen Bundesländern vergleichbar - und auf die Parlamentswahlen im Spätherbst. »Podemos ist in Barcelona nur Teil eines breiten Bündnisses«, erklärt Vila gegenüber »neues deutschland« zum Gewicht der neuen Partei in Guanyem. Es sei geringer als das der Initiative für Katalonien - Grüne (ICV), die in Katalonien mit der spanischen Vereinten Linken (IU) verbündet ist. Sogar einige Basisorganisationen seien stärker vertreten.
Die Journalistin spricht von einer »gläsernen Decke«, an die die Empörten-Proteste gestoßen seien. »Es geht nun darum, die institutionelle Blockade aufzubrechen«, erklären Vila und der Sprecher von Ganemos-Madrid auf die Frage, warum man die Macht in den Institutionen erringen will. Das wurde in der Empörten-Bewegung lange abgelehnt. Pablo Carmona, der Ganemos-Madrid anführt, sagt »nd«: »Das politische Regime, das 1978 im Übergang von der Diktatur mit der neuen Verfassung entstand, bietet keine politischen Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger, auch wenn ihre Vorschläge von einer breiten Mehrheit getragen werden.«
Carmona führt eine Initiative der PAH an, die den Übergang vom Protest zur Intervention in Institutionen markierte. Mit 1,5 Millionen Unterschriften wurde 2013 ein Gesetz per Volksinitiative (ILP) ins Parlament befördert. Es sah angesichts von 400 000 Zwangsräumungen eine Restschuldbefreiung für Betroffene vor, wie sie in Frankreich oder den USA üblich ist. In Spanien verlieren sie ihre Wohnung, sitzen aber meist weiter auf hohen Schulden. Eine Sozialmiete sollte endlich das Verfassungsrecht auf würdigen Wohnraum garantieren. Denn an Wohnungen mangelt es nicht, mehr als drei Millionen stehen leer.
Obwohl 80 Prozent der Bevölkerung für die ILP waren, wurde sie im Parlament abgeschmettert. »Das war der Punkt, an dem viele intuitiv entschieden, in die Schlacht mit dem Regime um die Institutionen zu ziehen, um die Zweiparteienherrschaft aufzubrechen«, sagt Carmona in Bezug auf die rechte Volkspartei (PP) und die Sozialdemokraten (PSOE). Es gehe jetzt darum, »die Parlamente von den Mafia-Strukturen zu säubern, die unsere Städte regieren«. In die Korruptions- und Schmiergeldskandale seien auch den Parteien nahestehende Gewerkschaften verstrickt.
Wie in Barcelona haben die Anhänger von Podemos und Ganemos in Madrid das Bündnis mit großer Mehrheit für die Kommunalwahlen abgesegnet. Allerdings müssen sie unter anderem Namen antreten, weil Guanyem und Ganemos im Wahlregister von einem berüchtigten Rechtspolitiker besetzt wurde. So tritt man nun als Barcelona en Comú (Gemeinsam für Barcelona) sowie Ahora Madrid (Jetzt Madrid) an. Für das Regionalparlament wird Podemos das Feld überlassen. »Wir konzentrieren und spezialisieren uns auf den Bereich, in dem wir gut verankert sind«, begründet dies Carmona. Die lokalen Institutionen böten sich an, um die Demokratisierung und die Bürgerbeteiligung voranzutreiben.
Als »links« definiert sich Ganemos nicht, auch wenn viele Aktivisten »in der Tradition der alternativen Linken« stünden. Da aber die Sozialdemokraten, als links angesehene große Gewerkschaften und sogar die IU in Skandale der »Kaste« verwickelt seien, »funktioniert der Links-rechts-Gegensatz hier nicht«, meint Carmona. Wir arbeiten »von unten gegen die von oben« und so werde die Frage der Verteilung des Reichtums auf die Tagesordnung gesetzt. Damit habe man für einen Erdrutsch gesorgt, auch treue Wähler der Konservativen wollten nun Ganemos oder Podemos wählen.
Orientiert wird sich an SYRIZA in Griechenland, doch Bürgerkandidaturen gäbe es seit langem bereits im Baskenland oder in Katalonien. Einst hätten auch deutsche Grüne ähnliche Ideen vertreten, bevor sie »negativ abgedriftet« seien, so Carmona. Eine »starke soziale Organisierung« und eine »enge Verbindung« von Straßenprotesten mit institutioneller Politik sei der Schlüssel. Kontrolle durch die Basis sei für eine reale Demokratisierung zentral. Entscheidungen müssten über Voten von der Basis ratifiziert werden, die auch die Finanzen überwachen müsse. »Das ist bei beiden Strukturen sehr ähnlich«, erklärt die Katalanin Vila mit Blick auf Ganemos und Podemos.
Die Partei spricht es nicht aus, doch sie will sich nach dem Erfolg bei der Europawahl im vergangenen Mai nicht auf Gemeindeebene abnutzen, wo bisher eigene Strukturen fehlen. Die Bürgerkandidaturen sollen der Steinbruch sein, aus dem dann das gemeinsame Haus gebaut wird. Podemos hält sich aus lokalen Problemen heraus, kann aber auf Strukturen zurückgreifen, die Ganemos aufbaut. Ganemos werden nach Umfragen vielerorts gute Chancen eingeräumt. In über 100 Kommunen treten Bündnisse nach diesem Strickmuster an.
Ganz rund läuft die Umsetzung jedoch nicht. Während die IU in Madrid und Barcelona als Partner in Ganemos/Guanyem mitarbeitet, will die Linke an anderen Orten verkleidet als Ganemos einen kompletten Neustart versuchen. Das gilt besonders im Baskenland. Hier implodierte die IU an eigenen Widersprüchen, spaltete sich, wobei sich eine Fraktion der starken linken Unabhängigkeitsbewegung EH Bildu (Baskenland vereinen) angeschlossen hat. Die regiert schon viele Gemeinden und mit Donostia-San Sebastián bereits die erste Großstadt, während die IU aus dem Regionalparlament und den Gemeinderäten flog. Bei Podemos stoßen Bündnisse mit Initiativen, die von der IU dominiert sind, allgemein auf Ablehnung.
Und die zerstrittene IU vertritt ohnehin keine klare Linie zu Ganemos. Im zentralspanischen Salamanca bekämpft sie die Kandidatur sogar als »inneffizient, waghalsig und garantielos«. Auch in Ávila, Segovia, Soria und Zamora schließt sie sich diesem Bündnis nicht an. Für Wähler ergibt sich so bisweilen ein verworrenes Bild. Das könnte Ganemos in Madrid den Sieg kosten. Denn während die drei Formationen bei den Kommunalwahlen gemeinsam antreten, sind sich IU und Podemos bei den Regionalwahlen spinnefeind.
Und das zerreißt die Linke in der Hauptstadt geradezu. Die von der IU-Basis gewählte Kandidatin Tanja Sánchez hat mit anderen die IU verlassen, weil die »alte Garde« der Hauptstadt-IU das Zusammengehen mit Podemos bekämpft, auf das die Freundin von Podemos-Generalsekretär Iglesias setzt. Sie sieht nur darin eine Möglichkeit, die Rechten im Regionalparlament zu stürzen. Das lehnen IU-Lokalfürsten wegen der Übermacht von Podemos in Umfragen ab, da sie kaum einen Einfluss im Bündnis hätten. Dass man sich lokal als Alternative gemeinsam präsentiert, aber bei den gleichzeitigen Wahlen zum Regionalparlament heftig bekämpft, könnte sich sehr negativ auswirken, befürchtet auch Carmona.
Eigentlich sollten erst die Wahlen am 24. Mai zum großen Test werden. Über die Gemeinderäte und Regionalparlamente sollte dann Anlauf zum Sturm auf das Madrider Parlament im Spätherbst genommen werden. Wegen der aufstrebenden Podemos ließ in Andalusien die sozialdemokratische Landesfürstin Susana Díaz ihre Koalitionsregierung mit der IU platzen und zog Neuwahlen auf den 22. März vor. Die Linke ist als Juniorpartner gebeutelt, da sie kaum Wahlversprechen umsetzen konnte.
Díaz erwischt mit ihrem Schachzug nicht nur eine zerstrittene IU kalt, sondern auch Podemos auf dem falschen Fuß. Denn in Andalusien formierte sich die Partei gerade erst. Eilig hat die Basis die Europaparlamentarierin Teresa Rodríguez zur Kandidatin bestimmt. Die 34-Jährige soll es am Sonntag in einer Woche mit Díaz aufnehmen, ist in ihrer Heimat aber unbekannt. Nach Umfragen liegt Podemos in der PSOE-Hochburg mit 20 Prozent derzeit nur auf dem dritten Rang. Mit der IU, die auf knapp sieben Prozent abstürzen soll, will man sich nicht als Alternative präsentieren. Für Podemos gehört die Linke in Andalusien zu dem System, das gestürzt werden soll.
Díaz hat die Podemos-Pläne aufgemischt und für enormen Zeitdruck gesorgt. Die jungen Formationen sollen Fehler machen, um die PSOE-Vorherrschaft zu sichern. Rodríguez meint aber, dieses Kalkül werde nicht aufgehen. Klar ist, dass nun ganz Spanien gespannt in den Süden blickt. In der bevölkerungsreichsten Region fällt eine Vorentscheidung. Bisher hatte nur Aussicht auf einen Wahlsieg in ganz Spanien, wer die Wahlen dort gewinnen konnte.
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