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Das bisschen Anpassen

Im Kino: »Dessau Dancers« von Jan Martin Scharf

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 5 Min.
In der zweiten Hälfte der Achtziger zog der Breakdance-Trend auch über die Grenze der DDR. Nur den Namen musste der Hype an der Türe abgeben: Es blieb der »akrobatischer Schautanz«. Der Film Dessau Dancer erzählt die Geschichte.

Folgt man der Darstellung in Leonard Schmiedings gut recherchiertem Buch »Das ist unsere Party - HipHop in der DDR« (Franz Steiner Verlag, 2014), so sind die Verantwortlichen für die Breakdance-Welle, die in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre über die DDR hinwegrollte, klar auszumachen. Denn ohne die freundliche Interpretation ausgerechnet durch sie: die Gutachter der Hauptverwaltung Kultur, hätte es der US-amerikanische Film »Beat Street« kaum in die Kinos zwischen Rostock und Zwickau geschafft. Der von Harry Belafonte, einem erklärten Freund der DDR, produzierte Streifen beschäftigte sich zwar mit einer Subkultur aus der Bronx, deren semikriminelles Treiben man sich auf den heimischen Straßen kaum gewünscht haben dürfte. Da es sich bei den jungen Leuten im Film aber um Afroamerikaner handelte, die vom kapitalistischen System an den Rand gedrängt wurden, brachte man ihnen eine gewisse Sympathie entgegen. So wurde eine Partyszene in »Beat Street« großzügig als »Friedensfeier« ausgelegt.

Und siehe da: Tatsächlich solidarisierten sich etliche der jugendlichen Kinogänger in der DDR, die »Beat Street« aufsogen wie ein Durstender das Wasser aus einem Strohhalm, mit ihren US-amerikanischen Altersgenossen - wenngleich auf andere Weise als erwartet. Sie ahmten deren Verhaltensweisen, Musikvorlieben, Kleidungsstil und, vor allem, deren Art, sich in atemberaubenden Bewegungen zu verrenken, eifrig nach. Das Wort »cool« muss in jener Zeit Eingang auch in den ostdeutschen Jugendsprachgebrauch gefunden haben. »Beat Street« war die Initialzündung für eine der letzten Subkulturen in der DDR. Landauf, landab wurde der Breakdance erlernt.

Leonard Schmieding, dessen Dissertation dieses Phänomen dokumentiert und analysiert, stand den Machern des Spielfilms »Dessau Dancers«, der jetzt in die Kinos kommt, als »historischer Berater« zur Verfügung. Drehbuchautorin Ruth Toma und Regisseur Jan Martin Scharf erzählen darin von der Strategie der überraschten DDR-Oberen, die neue Bewegung zwar tanzen zu lassen - aber nach ihrer Pfeife. Und eben nicht auf den Straßen der sozialistischen Städte, sondern in Sporthallen und Jugendclubs unterm Dach der FDJ. In »Dessau Dancers« - Dessau war eine Hochburg der Bewegung - gibt es eine Szene, die sich so ähnlich tatsächlich abgespielt haben dürfte: Vor einer vertäfelten Wand mit Honeckerporträt sitzt eine Handvoll selbstzufriedener Herren, an deren Anzügen das Parteiabzeichen blinkt. Vor ihren verblüfften Visagen zeigen vier Jugendliche in szenegerechter Straßenkluft und mit Ost-Ghettoblaster, was sie so können. Und das ist - dank unermüdlicher »Beat Street«-Kinobesuche, sogar mit Skizzenbuch und Aufnahmetechnik - einiges.

Es ist selbst für die Kulturfunktionäre um den Vorsitzenden Meinhart (komödiantisch: Wolfgang Stumpf) so faszinierend, dass sie den Breakern sogar einen gewagten Sprung auf ihren Aktentisch nachsehen. Das »Einstufungskomitee« erteilt dem Quartett eine Zulassung als staatlich geprüfte Unterhaltungskünstler der Kategorie B - die legendäre »Pappe«. So absurd es sich anhört, aber dieser Sprachgebrauch ist authentisch: Aus der »Crew« wird ein »Volkskunstkollektiv«, aus dem »B-Boying« wird »akrobatischer Schautanz«. Und aus den vier Tänzern, die eben noch auf einem Linoleumstück in der Stadt um die Gunst der Passanten »battleten« und dafür von der Volkspolizei in Gewahrsam genommen wurden, wird eine geförderte Gruppe mit eigener Trainigshalle, Tour-Barkas, gefeierten Auftritten überall in der kleinen Republik und Fernsehauftritten in der Jugendsendung »Rund« und im (in der entsprechenden Filmsequenz vom echten Wolfgang »Lippi« Lippert moderierten) »Kessel Buntes«.

So begeistert die Anerkennung des Publikums für die Künste der »Break Beaters«, so tief die Verachtung derjenigen B-Boys, die der Straße treu bleiben - und weiter verfolgt werden. Es ist dieser Konflikt zwischen Anpassung und Auflehnung, der dem Film zu einem Bogen in die Gegenwart hätte verhelfen können. An seinen Ursprüngen und Überzeugungen festhalten - oder ein Verbiegen in Kauf nehmen, das mit Können wenig zu tun hat? Vor dieser Entscheidung stehen Künstler auch heute. Nur geht es dabei eben nicht mehr um staatliche Duldung, sondern um Geld. »Dessau Dancers« entscheidet sich indessen, eine dokumentarisch verbürgte, die DDR aber einmal mehr platt karikierende Komödie zu bleiben, und schlägt diesen Haken nicht.

Für die »Break Dancers« aus dem Film ist die Anpassung an die staatlichen Richtlinien der Preis dafür, dass sie nicht nur geduldet, sondern sogar in einem Umfang gefördert werden, von dem die meisten Nachwuchstalente heute nur noch träumen können. Zweien der drei Tänzer ist dieser Preis aber irgendwann zu hoch. An den Differenzen darüber, wie weit man in seinen Zugeständnissen geht, wird das Trio zerbrechen. Zwar war es dem zur Aufsicht der »Break Beaters« abgestellten, sich im Erfolg seiner Schützlinge sonnenden, mit der Stasi kooperierenden Turntrainer Hartmann Dietz (drahtig verschlagen: Rainer Bock) sogar gelungen, die Truppe zu Synchron-Choreografien zu bewegen. Und das will in einer Szene, der das Können des Einzelnen und der Individualismus heilig ist, schon etwas heißen. Als er sie aber für den Auftritt beim »Kessel Buntes« in revuetaugliche Goldglitterkostüme steckt, ist die Leine überspannt und reißt.

»Dessau Dancers« ist sehenswert, weil er einer Szene, die bislang unterbelichtet war, die ihr gebührende Aufmerksamkeit schenkt und den Umgang mit ihr in Erinnerung ruft. Dramaturgisch aber ist der Film überspannt: Von der Halbwaisen-Problematik über den Vater-Sohn-Konflikt bis hin zur Dreiecksgeschichte spart er kaum einen Griff in die Klischeekiste aus. Allemal beeindruckend sind die Tanzkünste der vier jungen Hauptdarsteller. Gordon Kämmerer, Sonja Gerhardt und Oliver Konietzky haben sich das professionelle Breaken in monatelangem Training draufgeschafft. Der Vierte im Bunde, Sebastian Jaeger, ist ohnehin vom Fach: Unter dem Namen Killa Sebi hat sich der mehrfache deutsche Breakdance-Meister international einen Namen gemacht. Dass er als Michel in »Dessau Dancers« mitspielt, tut dem Film gut. Bleibt er als Dokumentarkomödie Mittelmaß, als Tanzfilm kann er sich sehen lassen.

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