Über 7000 Tote nach Erdbeben in Nepal
4500 Schulen und 700 Gesundheitszentren zerstört / UN-Nothilfekoordinatorin »extrem beunruhigt« über schleppende Hilfsmaßnahmen
Update 8.40 Uhr: Nach der verheerenden Lawine am Mount Everest haben sich quasi alle Expeditionsteams vom höchsten Berg der Welt zurückgezogen. Wer noch am Berg sei, packe in den kommenden Tagen zusammen, sagte der belgische Bergsteiger Damien François der Deutschen Presse-Agentur aus dem Basislager. Das Lager sehe durch die Lawine aus »wie nach einem Tsunami«. Derzeit räumten die wenigen verbliebenen Bergsteiger und ein Team der indischen Armee die Überreste zusammen, die durch die Druckwelle bis zu einen Kilometer weit geschleudert wurden. Bei dem gewaltigen Erdbeben am vergangenen Samstag hatten sich im Mount-Everest-Massiv zahlreiche Lawinen gelöst. Dabei kamen mindestens 18 Menschen ums Leben, darunter nach Angaben von Nepals Bergsteigervereinigung eine Australierin, zwei US-Amerikaner, ein Japaner und ein Chinese. Die Regierung Nepals erklärte zunächst, den Berg von der Südseite nicht schließen zu wollen. China hingegen hatte schnell alle Klettertouren auf der Nordseite während der Frühlingssaison verboten. Die Sherpas wollten jetzt lieber bei ihren Familien sein, denn auch dort seien viele Häuser zerstört worden, sagte Lhakpa Sherpa. Er war selbst während der Lawine im Basislager, um zum fünften Mal auf den Everest zu steigen. In der Lawine verlor er einen Großteil seiner Ausrüstung. »Das gilt auch für viele andere. Wir können also nicht mehr klettern«, sagte er. Die Regierung hätte den Berg schließen sollen, findet er.
Über 7000 Tote nach Erdbeben in Nepal
Berlin. Nach dem schweren Erdbeben in der Himalaya-Region ist die Zahl der Toten in Nepal auf über 7.000 gestiegen. Das verlautete aus offiziellen Quellen. Mehr als 14.000 Menschen wurden verletzt. Etwa 300.000 Häuser wurden ganz oder teilweise zerstört. Unter den Toten sind nach Polizeiangaben 50 ausländische Touristen. Sie seien bei dem Erdbeben vor einer Woche und den daraus resultierenden Lawinen und Erdrutschen ums Leben gekommen. Die meisten der toten Ausländer seien Wanderer und Bergsteiger gewesen, sagte Polizeisprecher Kamal Singh Bom weiter.
Angaben zu ihren Nationalitäten machte er nicht. Auf einer Liste der Polizei stehen viele Inder, aber auch Chinesen, Franzosen, US-Amerikaner, eine Japanerin, eine Australierin und eine Estin. Aus Deutschland ist ein Todesopfer bestätigt. Die Europäische Union hatte zuletzt erklärt, dass zu rund 1.000 Europäern kein Kontakt bestehe. Das Auswärtige Amt in Berlin sprach von vermissten Deutschen im höheren zweistelligen Bereich. Das französische Außenministerium erklärte, allein im Manaslu-Tal säßen noch 13 Franzosen in mehreren Dörfern fest.
Die nepalesische Regierung erklärte, oberste Priorität habe nun die Auslieferung von Zelten, Nahrungsmitteln und Wasser an die Überlebenden. Die Chance, noch Überlebende in den Trümmern zu finden, sei sehr gering, sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Die nepalesischen Sicherheitskräfte und Rettungstrupps aus aller Welt hätten etwa 800 Menschen ausgegraben. Dem UN-Büro für Katastrophenhilfe (Ocha) zufolge ist es nach wie vor schwierig, zu den Hilfsbedürftigen in die entlegenen Gebiete Nepals zu kommen.
Sowohl die betroffenen Nepalesen als auch internationale Hilfsorganisationen vor Ort kritisieren die Regierung seit Tagen dafür, dass sie zu langsam und chaotisch agiere. Auch würden Hilfsgüter vorwiegend an Verwandte der Beamten und Mitglieder und Günstlinge der regierenden Parteien ausgeliefert. Im Hilfsfonds des Premierministers sind mittlerweile rund 15 Millionen Euro eingegangen, vor allem von nepalesischen Spendern. Der Finanzminister beklagte, die meisten der Geldzusagen aus dem Ausland seien noch nicht bei ihm angekommen.
Die am schlimmsten betroffenen Orte liegen in den Bezirken Sindhupalchok und Gorkha. »Die Menschen dort brauchen enorm viel Hilfe, weil das Ausmaß an Zerstörung so riesig ist«, sagte die deutsche Ärztin Gerda Pohl der Deutschen Presse-Agentur aus Gorkha. Am dringendsten würden Zelte benötigt - diese seien aber derzeit quasi nicht zu bekommen. Helikopter brächten nur Essen, aber nichts zum Bau von Unterkünften.
Das Asiatische Zentrum für Katastrophenvorsorge erklärte, während des Erdbebens seien 4500 Schulen und 700 Gesundheitszentren zerstört worden. Nun sind auch Teams der nationalen Erdbebengesellschaft unterwegs und markieren Gebäude. Die Häuser bekommen je nach Standfestigkeit grüne, gelbe oder rote Zettel - rot und gelb markierte Häuser dürfen ganz oder teilweise nicht mehr betreten werden. »Auch das Hause des Premierministers erhielt einen gelben Zettel«, sagte Anil Upadhyaya von der Erdbebengesellschaft.
UN-Nothilfekoordinatorin Valerie Amos sagte, die Vereinten Nationen stünden angesichts der blockierten Straßen und der Dörfer ohne Straßenanbindungen vor einer immensen logistischen Aufgabe. Sie sei besorgt, dass es zu lange dauere, den Menschen Hilfe zu bringen. An vielen Stellen seien die Hänge zu steil, um mit dem Hubschrauber zu landen. Mehr als eine Woche nach den verheerenden Erdstößen müssen viele Menschen in Nepal weiter unter freiem Himmel schlafen. Sie seien dringend auf gute Zelte und Werkzeuge zur Reparatur von Unterkünften angewiesen, teilte das UN-Büro für Katastrophenhilfe mit.
Amos hat sich derweil besorgt über eine Verzögerung internationaler Hilfslieferungen für die Erdbebenopfer in Nepal durch Zollprobleme gezeigt. Sie sei »extrem beunruhigt« über Berichte, wonach die Zollabfertigung am Flughafen von Kathmandu äußerst schleppend verlaufe, sagte Amos am Samstag der Nachrichtenagentur AFP. Sie habe Nepals Regierungschef Sushil Koirala bei einem Treffen daran erinnert, dass Nepal im Jahr 2007 ein Abkommen mit den Vereinten Nationen unterzeichnet hatte, um im Katastrophenfall Hilfslieferungen beschleunigt abzufertigen. Wegen der zögerlichen Hilfe für die Erdbebenopfer vor allem in abgelegenen Regionen ist die nepalesische Regierung in die Kritik geraten. Berichten zufolge wurden Hilfslieferungen am Flughafen von Kathmandu nur stockend vom Zoll abgefertigt oder an der Grenze zu Indien gar abgewiesen.
In den am schwersten betroffenen Distrikten Gorkha und Sindupalchowk seien bis zu 90 Prozent der Häuser zerstört worden, berichtete Ocha weiter. Diese bestünden meist aus Lehm und Steinen. In anderen Distrikten seien es 80 Prozent.
Nachdem sie fünf Tage lang in den Trümmern von Kathmandu nach Überlebenden des verheerenden Erdbebens gesucht haben, bereiten sich erste Rettungsteams aus Deutschland wieder auf ihre Rückkehr vor. Am Samstag hätten die Mitglieder des Einsatzteams von @fire die Hauptstadt Kathmandus in Richtung Dehli verlassen, teilte die Hilfsorganisation für Katastrophenschutz mit. Am Sonntag wird das Team in Frankfurt zurückerwartet, wo es auf ein Notfall-Nachsorge-Team treffen soll. Unterdessen sind zahlreiche in den Bergen festsitzende Touristen ausgeflogen worden.
Nach Angaben eines Polizeisprechers vom Samstag sollen inzwischen alle Ausländer, von denen der Aufenthaltsort durchgegeben wurde, gerettet worden sein. Die Familien zweier in Nepal verschollener Urlauberinnen aus Lehrte bei Hannover bangen jedoch weiter um die beiden 20-Jährigen. »Wir konnten herausfinden, in welchem Bereich sie zuletzt gesehen worden sind«, sagte Leonies Mutter Anja Elsner am Samstag. In dem Gebiet am Tamang Heritage Trail werde schon nach den beiden jungen Frauen und anderen Vermissten gesucht. »Die Informationen haben wir von der Botschaft«, sagte Elsner.
Auch zahlreiche lokalisierte Franzosen steckten weiterhin in schlecht zugänglichen Dörfern fest, die sich auf einer Höhe zwischen 3000 und 6000 Metern befinden, teilte das französische Außenministerium mit. Agenturen/nd
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.