Selbstüberschätzung
Ein unwürdiges Buch über Albert Schweitzer
Der Autor schreibt im Vorwort: »Ich kann guten Gewissens behaupten, dass ich ursprünglich nicht angetreten bin, um ein entlarvendes Buch über Albert Schweitzer zu schreiben. Als ich mit dieser Studie begann, war mein Ziel, eine Darstellung von Schweitzers Theologie, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Apologetik.« Nun, über Schweitzer als Theologe gibt es ein kompetentes Buch von Erich Gräßer, das Sebastian Moll auch zustimmend zitiert. Das umfangreichere Buch von Helmut Groos »Albert Schweitzer. Größe und Grenzen« wird vom Autor nur einmal, ebenfalls zustimmend erwähnt, fehlt aber in der Bibliographie.
»Der Hauptteil des Buches«, kündigt Moll seine Biografie an, »wird der Gegenüberstellung von Schweitzers autobiographischen Angaben einerseits und der historischen Realität andererseits gewidmet sein«. Was er in der Folge anbietet, sind indes alte Hüte, die Dutzende Male in der Literatur diskutiert wurden. Als der Nachlassband über die Straßburger Vorlesungen 1998 herausgegeben wurde, war es eine Sensation, zu lesen, dass Schweitzer bereits 1912 den Begriff »Ehrfurcht vor dem Leben« und die Grundidee seiner Ethik dargestellt hat. Das wird aber 2015 niemanden daran hindern, an die berühmte Formulierung von 1915 zu erinnern; obgleich es nicht einmal eine Originalquelle aus den Oktobertagen 1915 gibt.
Schweitzer hat tatsächlich oft über ein gleiches Ereignis oder eine bestimmte Persönlichkeit (z. B. Kant oder Nietzsche) später unterschiedlich reflektiert. Bestimmte Gründe hierfür kann man erklären, über andere spekulieren, zu entlarven gibt es da nichts. Noch mehr blamiert sich Moll, wenn er Schweitzer vorwirft, dass der finanzielle Aspekt bei ihm »von entscheidender Wichtigkeit« war. Ja, was denn sonst? Hätte Moll doch einmal von Harald Schützeichel das Buch »Die Konzerttätigkeit Albert Schweitzers« zur Hand genommen und die rastlose Tätigkeit mit Vorträgen und Konzerten studiert, hätte er seine »entlarvenden« Ziele vielleicht aufgegeben. Aber Moll musste für sein Buch nicht zu Schweitzers Bach-Buch greifen, konnte sich den Nachlassband »Wir Epigonen« sparen, in dem so enorm viel über die Zeit mit Helene in Lambarene nach Ausbruch des Krieges 1914 zu lesen ist. Er verzichtete auf alles, was zu dessen Friedensidee von den Predigten bis zur Kritik der Atomkriegsgefahr zu lesen ist.
Neben sachlicher Kritik an Schweitzer hat es in den letzten 30 bis 40 Jahren nicht wenige gehässige Bücher über diese Persönlichkeit und ihr Werk gegeben. Moll möchte nicht als ein gehässiger Autor verstanden werden. Am Schluss seines Buches schreibt er denn auch: »Albert Schweitzer verkörpert das Bekenntnis, dass christlicher Glaube immer gelebter Glaube ist, dass Denken und Handeln in Einklang stehen müssen. Dieses Bekenntnis ist und bleibt zeitlos wahr. Keine historische Forschung wird daran etwas ändern.« Weil Molls Buch aber so oberflächlich in der Wahl der Literatur und in ihrer Wertung ist, wird die Absicht, »ein entlarvendes Buch über Albert Schweitzer« anzubieten, nur zum Zeichen der Selbstüberschätzung.
Sebastian Moll: Albert Schweitzer - Meister der Selbstinszenierung. Berlin University Press. 250 S., geb., 29,90 €.
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