Niemand hatte die Absicht, diese Combo jemals ins Leben zu rufen«, sagt Christian »Flake« Lorenz über die Geburtsstunde der Magdalene Keibel Combo, jenes musikalischen Spaßprojekts, dessen Name sich aus den Standorten der Berliner MfS-Zentrale (Magdalenenstraße) und der Polizei (Keibelstraße) zusammensetzte. Aber »niemand« hatte ja auch die Absicht, eine Mauer zu errichten, und trotzdem zog sie sich seit 1961 quer durch Berlin. Also existierte die Magdalene Keibel Combo, ein Seitenprojekt der umtriebigen Feeling-B-Musiker »Flake« und Paul Landers (heute Rammstein), in den 80er Jahren munter vor sich hin, verstörte mit skurrilen Shows das Publikum diverser DDR-Clubs und betrieb Subversion als Schabernack.
Einmal tauchte auf Ostberliner Straßen ein Plakat auf, auf dem geschrieben stand: »Die Volkspolizei bittet um Mithilfe! Gesucht werden die Mitglieder der Die Magdalene Keibel Combo. Es besteht begründeter Verdacht, daß sie unter dem Vorwand, gesucht zu werden, einen Steckbrief veröffentlichen.« Als Kontaktadresse war die Telefonnummer des Kabaretts »Das Ei« angegeben. »Flake« erinnert sich: »Wir wollten, daß die Leute dort anrufen und da meldet sich jemand mit den Worten "Das Ei".« So einfach konnte es sein, in der ernsten DDR seinen Spaß zu haben. Staatsgefährdend war solches Treiben sicher nicht. Die Behörden beäugten Projekte wie die Magdalene Keibel Combo zwar skeptisch und drängten etliche Mitglieder der Szene zur »inoffiziellen Mitarbeit«, ließen sie über weite Strecken aber gewähren. In der DT-64-Sendung »Parocktikum« spielte Lutz Schramm seit 1986 sogar Musik vieler Untergrund-Bands.
Über die Untergrundszene, die vor allem in Berlin, aber auch in der Provinz (etwa Karl-Marx-Stadt) ihre Blüten trieb, gibt es jetzt ein Buch, dessen Erscheinen am Freitag in der Volksbühne gefeiert wird. Der Interview- und Erinnerungsband »Spannung. Leistung. Widerstand« rückt das wichtigste Kommunikationsmedium der Szene ins Blickfeld: die Audiokassette. Die beigefügte Musikzusammenstellung befindet sich aber leider nicht auf Magnetbändern, sondern auf zwei CDs. Von CD-Recordern und -Brennern konnte man in der Zeit, um die es geht, nur träumen. Schon Leerkassetten hatten einen heute unvorstellbaren Wert, kosteten über 20 Mark. Aber in der DDR wusste man sich zu helfen. Es war Brauch, bei ungenießbaren Schlager-Kassetten oder billigen West-Tapes, die Oma vom Woolworth-Krabbeltisch mitgebracht hatte, den Überspielschutz mit Pflaster zuzukleben, um die Bänder mit Radiomitschnitten oder eigenen Aufnahmen zu bespielen.
Für die Untergrundmusiker, die in der DDR keine andere Möglichkeit hatten, ihre Stücke zu veröffentlichen, »war die Kassette das ideale Medium«, schreiben die Herausgeber Alexander Pehlemann und Roland Galenza in ihrem Buch. »Die Kassette fungierte als Träger subversiver Selbstbehauptungen, als Kassiber voll Samizdat-Sounds, die ihre aus ganz anderen Gründen existierenden westlichen Parallelentsprechungen hatten.« Während jenseits der Mauer »Geniale Dilletanten« (sic) mit schrillen Sounds ihre Independent-Labels jenseits des Markt-Mainstream aufbauten, waren Kassettenaufnahmen in dürftig ausgestatteten Wohnungsstudios für die DDR-Szene neben Live-Auftritten oft der einzige, freilich kaum legale, Kanal für den kreativen Output. Erfindungsreichtum war gefragt, vor allem bei der Beschaffung von Technik. Nicht selten wurden Instrumente von Hand zu Hand weitergereicht, oft sogar selbst gebastelt. Was nach Not klingt, war dieser Musik eine Tugend: Viele Klänge, die damals zu hören waren und sich nun auf den beiden CDs wiederfinden, haben so nie wieder existiert.
Auch der Austausch von geistigem Material florierte unter den Hinterhofkünstlern. Meist spielte man nicht nur in einer Band, sondern beteiligte sich an vielen Projekten. »Flake« etwa, ein Enthusiast, der tagelang an seinem Spielzeug-Casio herumtüfteln konnte, klimperte nicht nur bei Feeling B und der Magdalene Keibel Combo, sondern machte auch bei Projekten von Happy Straps, Die Firma, die anderen, Freygang oder Die Drei von der Tankstelle mit. Auch zwischen den Künsten funkte es gewaltig: Dichten, Filmen, Malen, Kostümieren, Musizieren, Schreiben und Schreien konnten sich in Performances exzessiv verbünden.
Es ist erstaunlich, wie ungehemmt die Szene sich in den Nischen eines Landes entfaltet hat, von dem sich ihre Mitglieder mental längst verabschiedet hatten. In »Gefahr«, so empfanden es viele, geriete die Lebendigkeit erst, als man sich von »offizieller« Seite Ende der 80er Jahre vorsichtig annäherte. Selbst Schramms Radio-Sendung wurde teils skeptisch beäugt. Wie glaubwürdig blieb man unter Seinesgleichen, wenn die Musik plötzlich im »Staatsfunk« gespielt oder bei AMIGA gepresst wurde? »Wir haben nicht Musik gemacht, um sie zu verkaufen«, sagt »Flake«. »Man musste sogar aufpassen, nicht zu erfolgreich zu werden, um nicht in diesem grässlichen Ausschusslager der DDR-Profibands zu enden. Das wäre unser Tod gewesen. Insofern war Erfolg kontraproduktiv.«
Alexander Pehlemann, Ronald Galenza (Hrsg.): Spannung. Leistung. Widerstand. Magnetbanduntergrund DDR 1979-1989. Verbrecher Verlag, 192 S., brosch., mit Doppel-CD 29,90 EUR.
Buchpräsentation mit viel Musik am 22.9., 20 Uhr, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Berlin