Kinder, Küche, Kapitalismus
Feministinnen gehen mit dem Staatsfeminismus ins Gericht
Der US-amerikanischen Philosophin Judith Butler haben wir die Erkenntnis zu verdanken, dass Sprache nicht Abbild von Realität ist, sondern der Mensch durch Sprache erst hervorgebracht, konstruiert und normiert wird. Geschlecht (Gender) so heißt es seit gut 25 Jahren in einschlägigen Uni-Seminaren auch hierzulande, ist demzufolge keine biologische Kategorie, sondern eine soziale. Was auf der erkenntnistheoretischen Ebene durchaus intellektuellen Charme hat, schlägt in Ideologie um, wenn mit dieser Erkenntnis Praxis verändert werden soll. Der im Zuge der Rezeption von Butlers Theorie entstandenen gendergerechten Sprache etwa, die mit Unterstrichen, Sternchen und Wortneuschöpfungen jegliche Kategorisierung zu überwinden meint, haftet heute der Geruch von Sprachwächterei an. Die Realität, die nicht gelitten ist, soll mittels Sprache einer Wunschvorstellung von Realität angepasst werden.
Die Realität aber ist in erster Linie nicht durch Sprache, sondern durch soziale Verhältnisse bestimmt. Die beiden Feministinnen Lilly Lent und Andrea Trumann weisen deshalb schon im Vorwort ihres Buches »Kritik des Staatsfeminismus« darauf hin, »dass, wer eine Geburtsurkunde ausstellen lässt oder Elterngeld beantragt, um eine Identität als Mann/Vater oder Frau/Mutter bislang nicht herumkommt«. Würden sie den Unterstrich in ihrem Buch verwenden, wäre dies »euphemistisch, da wir damit behaupteten, die Wahl zwischen vielen verschiedenen lockenden Möglichkeiten gesellschaftlicher Identität zu haben. Die sehen wir aber nicht«.
Eine Wahl haben viele Frauen auch in anderer Hinsicht nicht. Von der Aldi-Kassiererin bis zur Akademikerin haben viele Frauen das gleiche Problem: Der Zwang, ihre Arbeitskraft zu Markte zu tragen (geringe Löhne bei den einen, prekäre Zeitverträge mit ungewisser Perspektive bei den anderen), wird als Sieg der Emanzipation verkauft. Gleichzeitig weitet sich der kapitalistische Produktionsmechanismus, der Zwang der Subjekte zur Marktförmigkeit, auf die Reproduktionssphäre aus. Die war nie eine Nische innerhalb des kapitalistischen Systems, sondern notwendige Voraussetzung dafür, dass die Arbeitskraft (Mann) sich durch die Übernahme der Hausarbeit durch die Frau reproduzieren konnte. Doch jetzt wird sie zunehmend Teil dieser Maschine. Bis in die obere Mittelschicht hinein ist der Einverdiener-Haushalt am Aussterben. Das hat Folgen auch für die Kinder. Um den »Bedürfnissen« der Eltern »nach Vereinbarkeit von Familie und Beruf« entgegenzukommen, forderte der Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete Kai Wegner unlängst die 24-Stunden-Kita. »Vereinbarkeit von Familie und Beruf« - schon diese Formulierung ist pure Ideologie, geht es doch in Wahrheit um die Anpassung der öffentlichen Kinderbetreuung an die mehr und mehr von tariflichen Arbeitszeitregelungen befreiten Beschäftigungsverhältnisse. Was also einst als emanzipatorische Forderung insbesondere für berufstätige Frauen begann, wendet sich jetzt gegen den emanzipatorischen Gedanken selbst. Dieser hat die Autonomie der Entscheidung als Voraussetzung, die derzeitige Praxis unterwirft Väter wie Mütter dem Diktat der Unternehmen nach jederzeit verfügbaren Arbeitskräften.
Der Begriff dazu lautet Staatsfeminismus. Er ist nicht ganz neu, tritt seit einiger Zeit allerdings aus den politischen Nischen und akademischen Debatten heraus. Vor Wochenfrist sprach die britische Journalistin und Feministin Laurie Penny in einem Interview mit dem Berliner »Tagesspiegel« von einer neuen »Art von Feminismus, der Leute zu besseren neoliberalen Subjekten machen und sie glauben machen will, Gleichberechtigung hieße, eine Karriere machen zu können, die Freiraum für Kinder lässt. Das mag wichtig sein. Aber dieser Feminismus geht nicht an die Wurzel der Diskriminierung. Er redet nicht über Verhütung, Abtreibungsrechte oder darüber, wie Arbeit verteilt ist.«
Thema ist die Verteilung der Arbeit im Staatsfeminismus schon, jedoch nur in der Form, dass Besitzverhältnisse nicht angetastet werden. Heute sind in Westdeutschland zwar mehr Frauen berufstätig als noch vor 20 oder 30 Jahren, doch mit Emanzipation hat das nur vordergründig etwas zu tun. Das Alleinverdiendermodell habe nicht nur deshalb ausgedient, weil Frauen ökonomisch unabhängiger sein wollen, schreiben Lent und Trumann, »sondern weil sich dieses Modell kaum einer mehr leisten kann. Der Reallohn sinkt in der BRD schon seit den 80er Jahren«.
Mittlerweile sind Vollzeitstellen und unbefristete Arbeitsverhältnisse gerade für Frauen eher die Ausnahme als die Regel. Nach einer Studie des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung und der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung haben drei Viertel der Unter-30-Jährigen keine volle unbefristete Stelle mehr; überproportional sind Frauen davon betroffen. Auch in den anderen Altersgruppen nimmt die Zahl der prekären Jobs zu. »Die Frauen«, so Lent und Trumann, »rennen dem Versprechen einer Emanzipation durch Zugang zum Arbeitsmarkt hinterher wie der Hase dem Igel«. Das seit 2008 geltende neue Unterhaltsrecht bei Scheidung habe bei diesem Wettrennen die Frauen zusätzlich benachteiligt. Die neue Regelung geht vom doppelt verdienenden Ehepaar aus und gesteht dem geschiedenen Partner nur noch dann Unterhalt zu, wenn dieser die gemeinsamen Kinder betreut. Die Ex-Partner sollen jeweils für sich selbst sorgen. Das Gros der Frauen ist daher gezwungen, Arbeit unter so gut wie jeder Bedingungen anzunehmen.
Dass der Feminismus kein kämpferisches Geschäft mehr ist - jedenfalls nicht mehr in dem Sinne, dass es um ökonomische Autonomie und Gleichberechtigung geht -, ist eben auch diesem Hase-Igel-Schema zuzuschreiben. Der Kampf um die Wörter, um Begriffe, um Unterstrich- und Sternchenschreibweisen mag intellektuell herausfordernd sein, er wird jedoch schlecht vergütet. Nur wenige der Frauen, die sich mit Gendertheorie beruflich beschäftigen, können damit wirklich ihren Lebensunterhalt bestreiten. Sie leben und arbeiten in prekären Verhältnissen. Dass dies die Kritik jener Frauen provozieren muss, die vor 20 Jahren für Gleichberechtigung antraten und heute feststellen müssen, dass es zwar gendergerechte Toiletten gibt und Behördenrundschreiben in einer gendergerechten Sprache formuliert sind, sie aber auf Stellen arbeiten, in denen sie weniger als vor 20 Jahren verdienen und wegen der geringen Einzahlungen in die Rentenkasse und dem neuen Unterhaltsrecht von Altersarmut bedroht sind, ist mehr als verständlich.
Wie sehr das Versprechen der Emanzipation unter dem Zwang zur Marktförmigkeit ein die Emanzipation verhinderndes Projekt ist und die soziale Segregation hierdurch noch verstärkt wird, zeigt wiederum der Ausbau des Kita-Systems. Lent und Trumann verweisen auf die Entwicklung im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen. Dort konnte 2013 der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für unter Dreijährige nur eingelöst werden, indem - forciert von der damaligen Bundesfamilienministerin Kristina Schröder - Tagesmütter und (einige wenige) Tagesväter angeworben wurden. Die meisten dieser selbstständig Beschäftigten arbeiten 50 bis 60 Stunden die Woche und verdienen kaum 2000 Euro brutto im Monat. Sie entwickeln daher, so die beiden Autorinnen, Zusatzangebote für Wohlhabende, um das Einkommen zu erhöhen. Ähnliches gilt übrigens für die Kitas. Wer es sich leisten kann, schickt seine Kinder in die Einrichtung mit dem besseren Betreuungsschlüssel und den kleinen Extras wie »Früh-Yoga« oder »Früh-Englisch«.
Der Staat finanziere heute mehr als früher Kinderbetreuung und Familie, behaupten die Autorinnen. In der Tat wurde der Sektor der frühkindlichen Bildung in den vergangenen Jahren kräftig ausgebaut. Der Staat steckte viel Geld in den Ausbau der Ganztagsbetreuung an den Grundschulen, in die Kitas, in die Ausbildung von zusätzlichen Erzieherinnen, in die Gründung von Familien- und Beratungszentren. Doch das ist nur die halbe Wahrheit. In Wirklichkeit wurden Haushaltsmittel lediglich umgeschichtet. Es hat unter der Familienministerin Ursula von der Leyen und ihrer Nachfolgerin Kristina Schröder einen Paradigmenwechsel gegeben. Das Geld, das früher in Jugendzentren, Jugendwohn-WGs, Drogenhilfe etc. gesteckt wurde, wird jetzt in die Kleinsten investiert. Der Paradigmenwechsel basiert auf der Annahme, dass es für den Staat langfristig lohnender (und damit für die Wirtschaft billiger) sei, in einem frühen Lebensalter der künftigen Lohnabhängigen dafür zu sorgen, dass Fehlentwicklungen gar nicht erst auftreten, dass sie also als Jugendliche nicht drogenabhängig werden, keinen Schulabschluss erreichen oder auf eine andere Art aus der gesellschaftlichen Mitte fallen. Das Problem ist nur, dass wir heute noch gar nicht wissen können, ob die derzeitige Form staatlicher Frühbetreuung in 10 oder 20 Jahren nicht die gleichen Folgen haben wird.
Lilly Lent, Andrea Trumann: Kritik des Staatsfeminismus - Oder: Kinder, Küche, Kapitalismus, Verlag Bertz-Fischer, Berlin 2015, 120 S., 7,90 Euro.
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