Sisi und die »Bestien« vom Sinai
Ägyptens Präsident sieht sich im Kampf gegen den Terror und will gefügige Medien
Die Kämpfe begannen um 6 Uhr: Mit Raketen und Maschinengewehrfeuer wurde am Mittwoch ein ägyptischer Militärstützpunkt im Nordosten der Sinai-Halbinsel angegriffen; drei Rekruten kamen dabei ums Leben. Kurz darauf begann die Luftwaffe mit Bombardements im Umland. Über die Ziele sowie über Opferzahlen wurde nichts bekannt.
Denn die Regierung in Kairo hat ihre ohnehin schon restriktive Informationspolitik noch weiter verschärft: Wenig wird über die Lage auf der Sinai-Halbinsel bekannt gegeben, und nun wird von Journalisten, ausländischen wie einheimischen, gefordert, dass sie die Stellungnahmen des Verteidigungsministeriums 1:1 übernehmen - samt genauen Vorgaben darüber, wie die Kämpfer und ihre Gruppierungen zu nennen sind: »Bestien« ist ein erlaubter Begriff. »Islamisten« hingegen steht auf der schwarzen Liste. Noch drohen keine Konsequenzen, wenn man sich nicht daran hält; doch schon in der kommenden Woche könnte Präsident Abdelfattah al-Sisi ein Gesetz unterzeichnen, dass bis zu zwei Jahre Haft für alle Journalisten vorsieht, die nicht die Position der Regierung berichten und damit »falsche Nachrichten« verbreiten.
Dass Kairo nun versucht, die Berichterstattung unter Kontrolle zu bringen, hat mehrere Gründe. Die Moral bei Wehrdienstleistenden sei auf einem Tiefpunkt angelangt, berichten Offiziere. Denn es sind vor allem junge Rekruten, die im Kampf gegen die militanten Gruppierungen in der Wüstenlandschaft eingesetzt werden; mindestens 212 starben dabei seit Anfang des Jahres. Zudem leidet Sisis Inszenierung des »neuen starken Mannes« unter ausbleibenden Erfolgen. Nachdem Anfang vergangener Woche Generalstaatsanwalt Hischam Barakat bei einem Anschlag auf seinen Fahrzeugkonvoi ums Leben kam, ist offensichtlich, dass den neuen Machthabern die Lage zu entgleiten droht.
»Das war ein professionell geplantes und ausgeführtes Attentat, das weit von dem entfernt ist, was radikale, militante Gruppen in der Region normalerweise auf die Beine stellen«, sagt Generalmajor Hischam el-Halabi von der Nationalen Militäruniversität. Ausländische Sicherheitsexperten warnen, die Ereignisse müssten Anlass zur Sorge geben.
Auch die Angriffe auf dem Sinai sind perfekt geplant; gleichzeitig werden die Angreifer zunehmend offensiver, greifen öfter und vielzähliger an. Und geben damit Rätsel auf: Denn obwohl die ersten militanten Gruppen auf der Halbinsel schon vor zehn Jahren entstanden, ist kaum etwas darüber bekannt, wer sie finanziert, ausbildet, und wie sie an Waffen und Sprengstoff gelangen.
Hauptakteurin in den Kämpfen gegen das Militär ist eine Gruppe, die sich seit 2014 »Welajat Sinai«, zu deutsch »Provinz Sinai«, nennt, früher unter dem Namen Ansar Bait al-Makdis firmierte und sich dem Islamischen Staat verpflichtet hat. Darüber hinaus sind mehrere kleinere Gruppierungen aktiv, die ideologisch ähnliche Ziele verfolgen.
Ägyptens Regierung bezeichnet die Gruppen als militärischen Flügel der Muslimbruderschaft, die mit ausländischer Unterstützung Ägypten destabilisieren wolle. Doch die Muslimbruderschaft distanziert sich regelmäßig. Und selbst ägyptische Sicherheitsexperten bezweifeln die Darstellung. Es gebe ziemlich große ideologische Unterschiede. Das unwegsame Gelände, aber auch die Tatsache, dass nach dem Friedensvertrag mit Israel die Militärpräsenz auf der Halbinsel limitiert ist, sorgten in den vergangenen Jahren dafür, dass diese Gruppen Zufluchtsorte aufbauen konnten.
Mittlerweile haben sich Israel und Ägypten informell auf eine Ausweitung der ägyptischen Truppenpräsenz geeinigt; Ägypten ist für Israel zu einem wichtigen Partner in der Verteidigung der eigenen Grenzen geworden. Doch in Israel sieht man wohl, dass es für Ägypten eine schwierige Aufgabe ist. Das dortige Militär ist vor allem für den Krieg gegen andere Armeen ausgebildet, nicht aber gegen kleine Gruppen. Der Kampf gegen Terrorismus war über Jahrzehnte die Aufgabe der Polizei. Militär wurde vor allem in sichernder Funktion, beispielsweise in den Touristenhochburgen, eingesetzt.
»Ein großes Problem für die Ägypter dürfte sein, dass die Kämpfer vom Welajat Sinai und den anderen Gruppen angreifen und danach einfach zwischen der Zivilbevölkerung verschwinden«, sagt ein Mitarbeiter des israelischen Verteidigungsministeriums.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.