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Kriminelle »werden nie alle«
Jan Eik führt mit »Grenzgänge« ins Jahr 1958 nach Berlin
Auf dem Titelbild eine Trompete. Sie »erinnert an eigene, höchst unzulängliche musikalische Versuche«, schreibt Jan Eik in der Nachbemerkung zum Buch. Er bekennt, als 18-jähriger, der er 1958 war, begeisterter Besucher des Benny-Goodman-Konzerts in der Berliner Deutschlandhalle und mancher Session im »Studio 22« gewesen zu sein. Grenzgänge wie für andere DDR-Berliner damals auch. Damit war es mit dem Mauerbau drei Jahre später natürlich vorbei.
Charlotte Weidner, Gattin eines hohen DDR-Kulturfunktionärs, hätte freilich auch 1958 nicht offen sagen dürfen, dass sie mit der S-Bahn nach Westberlin gefahren ist, um ihre in Charlottenburg wohnende Tochter ausfindig zu machen. Seit Wochen fehlte jede Nachricht von ihr. Halbtot vor Angst geht sie zur West-Polizei, was ihr daheim in Berlin-Niederschönhausen mindestens ein Parteiverfahren hätte einbringen können. Aber zu dem Oberkommissar dort fasst sie gleich Vertrauen. »Von diesem Herrn Kappe ging eine Ruhe aus, die wohl nicht nur auf seine Müdigkeit zurückzuführen war.«
Otto Kappe und seinen inzwischen pensionierten Onkel Hermann konnten wir schon in zahlreichen Krimis in dieser Gelassenheit erleben. Normalität im Menschlichen, allen politischen Verrücktheiten zum Trotz. Richtiges Leben im Falschen - die Kappes versuchen es und können sich auf ihre Redlichkeit verlassen wie auch auf ihren Spürsinn.
»Der 25. Kappe-Fall« - so wirbt der Verlag für diese Krimi-Reihe, die inzwischen von 1910 bis 1960 führt und in ihrer Gesamtheit ein Gemeinschaftswerk mehrerer Autoren ist. Neben Jan Eik haben Horst Bosetzky, Petra Gabriel und andere daran mitgeschrieben. Wobei vorliegender Roman als besonders gelungen bezeichnet werden kann. Jongleurkunststück mit mehreren Kriminalfällen: Wie lässt sich das Verschwinden von Elke Weidner erklären, die in Westberlin offenbar Verbindung zu einer linken Gruppierung hatte? Dabei beginnt das Buch mit einer verkohlten Leiche, die in einem abgebrannten Haus in Frohnau gefunden worden war? Handelte es sich wirklich um Ronald Roeder, den Hausbesitzer? Künstler oder Kunsthändler - welcher Art waren seine Geschäfte? »Er verfügte ja über sehr gute Kontakte. Ich glaube, auch zu den Amerikanern.« - Was meinte seine Frau damit? Gemeinsam mit ihm war sie aus Stralsund nach Westberlin gekommen. Im Stralsunder Museum, wo damals auch Genosse Weidner war, hatte es einen Brand gegeben ...
»Nicht jeder angebliche politische Flüchtling haut auch wirklich aus politischen Gründen ab«, sagt Hermann Kappe zu seinem Neffen. Als Rentner kann er bequem in den Osten reisen und dort seinen Sohn Hartmut besuchen. Der ist Major der Volkspolizei. Das trifft sich gut. Erstaunlich präzise gelingt dem Autor die Beschreibung der verschiedenen sozialen Milieus allein schon innerhalb der Familie Kappe. Weitere kommen hinzu. Zum Beispiel Westberliner Linke und Ostberliner Funktionäre - sie versprechen sich Vorteile voneinander, doch es liegen Welten zwischen ihnen.
Westberlin-Besuch des amerikanischen Außenministers John Foster Dulles (dessen Bruder war Chef der CIA, wie man nebenbei liest), Folgen von Chrustschows Geheimrede vor dem XX.. Parteitag der KPdSU für die DDR, Säuberungen 1958 im Politbüro, die Organisation Gehlen, das Notaufnahmelager Marienfelde bis hin zum Schwimmer Hans Zierold, der 1958 der DDR den Rücken kehrte - das Buch ist voll mit Zeitgeschichte, was der Krimispannung indes keinen Abbruch tut. Und alles klärt sich am Schluss auch auf, woran Otto Kappes Sohn Peter einen kleinen, unbeabsichtigten Anteil hat. Der schwärmt für Jazz, das »Studio 22« und hat sich natürlich auch das Benny-Goodman-Konzert nicht entgehen lassen. Dort kann man ihn zusammen mit dem etwa gleichaltrigen Clemens aus der Hauptstadt der DDR sehen. Der ist, wie Elke Weidner, in Moskau geboren …
Sollte Peter im Sinne der Kappe-Dynastie nicht vielleicht später auch Kriminalist werden? Das mag den Autoren der Reihe womöglich schon mal durch den Kopf gegangen sein. Fortsetzungen garantiert. Denn, so sei Ottos Gattin Gertrud zitiert, »die Kriminellen werden nie alle.«
Jan Eik: Grenzgänge. Kriminalroman. Jaron Verlag. 208 S., br., 7,95 €..
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