Utopieverlust? Läuft wie geschmiert!

Der »Ring des Nibelungen« von Frank Castorf und Kirill Petrenko bewegt auch in seinem dritten Jahr die Gemüter

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn der »Ring des Nibelungen« auf dem Bayreuther Spielplan steht, dann ist er die Hauptsache auf dem Grünen Hügel. Die aktuelle Ausgabe hatte die Gemüter vor allem deshalb in Aufregung versetzt, weil Frank Castorf als Schmied auserkoren worden war. Vor allem aber weil sein kongenialer Bühnenbildner Aleksandar Denic bildgewaltig zur Sache ging und ziemlich viel Welt auf die Bühne brachte: von der Route 66 bis zu den Ölfeldern in Baku; vom roten Mount Rushmore mit Marx, Lenin, Stalin und Mao und dem Ostberliner Alex bis zu einem Hinterhof im Schatten der Mauer und vor die New Yorker Börse. Das muss man erst mal hinbekommen, ohne dass es einem intellektuell um die Ohren fliegt.

Diese auf den Bildpunkt gebrachte Dialektik des Utopieverlustes geht in ihr drittes Jahr, was man schon daran merkt, dass die Krokodile auf dem Alexanderplatz im »Siegfried« ihr zweites Junges bekommen haben, jetzt also zu viert aufmarschieren. Auf diesen augenzwinkernden Zuwachs hätte man wetten können. Immerhin sorgten diese possierlichen, Sonnenschirm und Waldvogelsängerin fressenden Monster dafür, dass ein paar Wagnerianer sich daran erinnerten, wie schlimm sie das alles eigentlich finden wollten, weswegen sie zum »Siegfried«-Finale dann doch vernehmlich zwischen den ansonsten herrschenden Jubel buhten. Was sich lautstark wiederholte, als Castorf und sein Team nach der zum Thriller verdichteten Götterdämmerung vor den Vorhang trat. Doch der Jubel überwog und hatte sich seit dem »Rheingold« von Akt zu Akt gesteigert. Und besonders massiv immer wieder Krill Petrenko getroffen.

Der Russe, der mit seinem Meininger Ring an vier aufeinanderfolgenden Tagen eine Weltkarriere startete, die ihn auf den Chefsessel der Berliner Philharmoniker tragen wird, übergibt im nächsten Jahr an Marek Janowski, der Anfang der 80er Jahre mit der legendären Dresdner Ringeinspielung Maßstäbe gesetzt hat.

Publikumsliebling Kirill Petrenko hat wiederum die besondere Bayreuth-Akustik fabelhaft im Griff. Beim betörend kammermusikalischen »Rheingold« und mit der besinnlichen Spannung, die verblüffend ruhige Mono- und Dialoge in der »Walküre« ermöglicht. Das gelingt ihm ebenso souverän und selbstverständlich wie das Durchstarten mit dem Walkürenritt, wenn Wotan die Rebellion Brünnhildes bestraft und von da an das große Ende nicht nur einkalkuliert, sondern bewusst herbeiführt. Um doch immer wieder dagegen zu rebellieren. Im »Siegfried« bleibt Petrenko bei dieser von innen glühenden Dramatik, die auch das Kalaschnikow-Geballere aushält, mit dem Siegfried seinen Ziehvater Mime über den Haufen schießt. Angepirscht und dann zugeschnappt. Dramatisch und lyrisch. Analytisch und einfach nur schön. Petrenko eben.

Auch bei den Sängern gibt es Abschiede. Vorneweg den von Wotan Wolfgang Koch. In Frank Castorfs Weltzeitreise war er (neben dem stummen, aber höchst einsatzfreudigen Faktotum Patric Seibert) ein personelles Kontinuum. In seiner abgewrackten Überheblichkeit im Motel an der Route 66, als Öloligarch unterm Sowjetstern in Baku und als rotzig resignierender Wiedervereinigungsspekulant im »Siegfried«. Mit stimmlicher Noblesse und klugem Ausdruck eine fabelhafte Personifizierung des Utopieverlustes, um den es in dieser Produktion - allem Wortgeklingel über die Spur des Öls zum Trotz - eigentlich geht. Die freier und souveräner denn je wirkende, sich grandios steigernde Brünnhilde Catherine Foster bleibt, und der neue Siegfried an ihrer Seite, Stefan Vinke, ist ein echter Zugewinn. Auch wenn er etwas braucht, bis seine vokale Pausbäckigkeit verschwindet. Wenn er sich aufschwingt, dann gibt es in diesem Jahr einen wirklich gesungenen Helden. Außerdem spielt er eine Klasse besser, freier und natürlicher als sein Vorgänger. Den Abgang von Siegmund Johan Botha nimmt man hin (er kommt nie über die pure Posenparodie hinaus, aber er singt gut). Vokal bewegt sich der aktuelle »Ring« erfreulicherweise immer im oberen Drittel dessen, was man sonst so zu hören bekommt.

Was das Intellektuelle und die szenische Schaulust angeht, hält er auch im dritten Jahr seinen Spitzenplatz. Und fasziniert mit der volksbühnenhaften Schauspielerleichtigkeit im »Rheingold«, der Wucht einer erstarrenden Revolution über archaischen Abgründen in der »Walküre«, dem Weltzeituhren-Fassadenschwindel Ostberlins im »Siegfried« und der Trostlosigkeit globaler Ratlosigkeiten zwischen urbanem Wiedervereinigungs-Hinterhof und Börse in der »Götterdämmerung«. Was bühnentechnisch wie geschmiert läuft und eine fantastische Herausforderung bleibt.

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