Zu Hause, im Zug, im Park
Die IG Metall will die Präsenzkultur aufbrechen und treibt flexibles Arbeiten voran
Wenn die Kinder abends im Bett sind, daheim noch eine Stunde lang Mails abarbeiten oder am Nachmittag zu Hause zwei Stunden einschieben - solche Möglichkeiten wünschen sich viele Beschäftigte. Mobiles Arbeiten nennt man das heutzutage. Darüber wird zwar viel diskutiert, doch in der betrieblichen Realität findet sich dazu nur wenig. Nun will die IG Metall Baden-Württemberg das Thema vorantreiben. Zum einen, weil laut einer Umfrage viele ihrer Mitglieder mobil arbeiten wollen, zum anderen, weil sie Standards setzen möchte, damit mobiles Arbeiten nicht zum unendlichen Arbeiten wird.
Es hört sich so einfach an: Wenn immer mehr Arbeit im Nicht-Produktionsbereich rein PC-abhängig ist, kann eigentlich überall gearbeitet werden: zu Hause, im Zug, im Park. Gerade für Familien birgt ortsunabhängiges, flexibles Arbeiten die Chance, Familie und Beruf besser unter einen Hut zu bringen.
In Großbritannien, Skandinavien und den Niederlanden steigt die Zahl der flexiblen Arbeitsplätze, in den Niederlanden hat seit kurzem jeder Arbeitnehmer sogar das Recht auf Arbeit von zu Hause. In Deutschland wird zwar viel über Vereinbarkeit diskutiert, doch in punkto mobiler Arbeit gehen die Zahlen zurück. »Die Akzeptanz von mobiler Arbeit bei Arbeitgebern ist gering«, stellt Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg, fest. Die Angst vor Kontrollverlust und die Präsenzkultur sei stark ausgeprägt. Dabei ist durch diverse Untersuchungen klar, dass Arbeitnehmer, die auch von zu Hause aus arbeiten können, motivierter und damit besser arbeiten.
Das kann Alfred Löckle, Gesamtbetriebsratsvorsitzender bei Bosch, bestätigen. Dort gibt es seit 2014 eine Betriebsvereinbarung zum mobilen Arbeiten. Danach darf in bestimmten Bereichen grundsätzlich von zu Hause aus gearbeitet werden und wenn der Vorgesetzte das nicht will, muss er es »sachlich begründen«, berichtet Löckle. Die ersten Erfahrungen zeigten, dass die meisten die Möglichkeit nutzten, um private Dinge wie Autoanmeldung, Arztbesuch oder Kinderabholung zu erledigen und sich später am Tag an ihre Arbeit setzten. Löckle: »Früher musste man dafür einen halben Tag Urlaub nehmen.«
Eine Voraussetzung, damit flexibles Arbeiten nicht ausartet: Die Arbeitszeit zu Hause wird erfasst, die Vertrauensarbeitszeit ist damit Geschichte. Damit flexibles Arbeiten für alle Seiten gut funktioniere, sei die Führungskultur entscheidend, sagt Löckle. »Man muss weg von der Präsenzkultur und hin zur Ergebniskultur.« Ähnlich sieht das Jörg Spies, Betriebsratsvorsitzender der Daimler-Zentrale und Mitglied des Gesamtbetriebsrats. Dort verhandelt man derzeit über eine Betriebsvereinbarung zur flexiblen Arbeit. »Das Interesse der Kolleginnen und Kollegen ist groß und auch in den Führungskreisen steigt die Akzeptanz«, hat Spies festgestellt.
Nun ist flexibles Arbeiten für verwaltende oder steuernde Tätigkeiten verhältnismäßig einfach umzusetzen, doch was ist mit Produktionsarbeitern? Auch sie wünschen sich mehr Spielräume. Hier gestaltet sich das Thema um einiges schwieriger. Roman Zitzelsberger sieht dennoch Möglichkeiten, »zum Beispiel flexible Schichten«. Zudem werden auch in der Produktion steuernde und überwachende Tätigkeiten zunehmen, so dass nach der zeitlichen Flexibilisierung wie Gleitzeit auch die örtliche Flexibilität folgen könne.
Den Gesetzgeber sieht der Metall-Chef vor allem in einem Punkt in der Pflicht: »Für mobiles Arbeiten ist eine gute Infrastruktur notwendig. Auch auf dem Dorf im Schwarzwald braucht man ein leistungsfähiges Netz.« Bis die Bedingungen für mobile Arbeit Thema von Tarifverhandlungen wird, wird nach Zitzelsbergers Ansicht noch geraume Zeit ins Land gehen. Zunächst müssten betriebliche Erfahrungen wie nun bei Bosch und bald bei Daimler gesammelt werden. Und auf dem Gewerkschaftstag im Oktober in Frankfurt am Main wird das Thema breit diskutiert werden.
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