Mainz, wie es hilft und lobt

Straßenbahnfahrer aus der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt im Berlin-Einsatz

  • Bernd Kammer
  • Lesedauer: 3 Min.
Weil der BVG Fahrer fehlen, sucht sie in anderen Städten nach Aushilfskräften. Mainzer fahren jetzt auf der Linie 16.

Das war knapp. In der Allee der Kosmonauten sprintet ein Radfahrer noch über die Gleise. Richard Kleber kann seine Straßenbahn gerade noch abbremsen. »Da hat er prima reagiert«, lobt Fahrlehrerin Ines Birnstiel. Aber Kleber kennt diese Situationen, denn er ist ausgebildeter Straßenbahnfahrer, allerdings in Mainz. »Waghalsige Radfahrer gibt es auch bei uns.«

Dass Kleber sich jetzt über die Berliner ärgern muss, liegt an der Mission, die er hier erfüllt: Mit zwölf weiteren Kollegen aus der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt hilft er der BVG, ihren Personalengpass bei der Straßenbahn zu überwinden. Seit Monaten hat das Unternehmen den Tram-Fahrplan ausgedünnt, weil Fahrer fehlen. Um die Lücke zu schließen, hat es sich die Mainzer ausgeborgt, bis zu fünf Fahrer werden auch noch aus Augsburg erwartet. Stettin hat abgesagt, aus Frankfurt (Oder) könnte noch ein Fahrlehrer nach Berlin wechseln.

Für Kleber war es am Dienstag die letzte Fahrt ohne Passagiere, um die Strecke und die Unterschiede bei Weichen und Signalen kennenzulernen. Die Niederflurbahnen der BVG sind kein Problem, der Typ ist auch in Mainz unterwegs. Wer wissen will, wie die rheinischen Fahrer eine Bahn steuern, muss die Linie 16 zwischen Ahrensfelde und dem S- und U-Bahnhof Frankfurter Allee nutzen, die ist etwa zur Hälfte in Mainzer Hand. »Es ist praktischer, unsere Kollegen auf Zeit mit einer Linie vertraut zu machen als mit mehreren«, so BVG-Sprecherin Petra Reetz. »Unsere Fahrer werden dann frei für andere Linien.«

Angelo Cappello fährt schon seit Mitte September auf der Linie 16 durch Marzahn und Lichtenberg. »Ich habe mich sofort beworben, als bei uns Fahrer für Berlin gesucht wurden.« 1985 sei er das letzte Mal in Berlin gewesen und jetzt fasziniert davon, wie sich die Stadt verändert habe. »Und die Berliner sind gar nicht so schlimm, wie ich sie mir vorgestellt habe. Die bedanken sich sogar, wenn ich die Tür wieder aufmache, wenn einer noch angeflitzt kommt.« In Mainz wird demnächst die vierte Straßenbahnlinie eingeweiht, die Fahrer dafür gibt es schon. Ob er und seine Kollegen jetzt in Mainz fehlen? »Nee, wir haben ausreichend Fahrer in Reserve.«

Dahin will die BVG auch mal kommen. 960 Fahrer hat sie derzeit, gut 1000 braucht sie für einen normalen Betrieb. Die Ursache für die Personalnot sieht das Unternehmen weiterhin in der Rente mit 63. »Diese Regelung haben mehr Beschäftigte genutzt als erwartet«, so Reetz. Besonders bei der Straßenbahn hätten viele Mitarbeiter aus dem Ostteil der Stadt ununterbrochen beim Verkehrsbetrieb gearbeitet und so die 45 Versicherungsjahre erreicht. Die Gewerkschaft ver.di hatte der BVG dagegen eine falsche Personalplanung vorgeworfen.

Die BVG sucht nun nicht nur bei anderen Verkehrsbetrieben nach Nothelfern, sondern bildet auch mehr eigene Fahrer aus. »Wir wollen auf etwa 1050 Fahrer kommen. Das dürfte als Puffer auch bei Fahrplanverdichtungen reichen«, sagt Reetz.

Eine Weile müssen die Mainzer aber noch aushelfen. Reetz schätzt, dass sie ihren Hauptstadtdienst Ende des ersten Quartals 2016 beenden können. In gut einem Monat soll auch klar sein, ob die Fahrplaneinschränkungen zum Jahresende zurückgenommen werden. Derzeit fährt die BVG etwa 97 Prozent der bestellten Leistung. Für alles, was unterhalb von 99,7 Prozent liegt, zahlt der Senat kein Geld. Unter anderem fahren die Bahnen auf der M 4 alle vier statt drei Minuten, auf der M 10 alle sechs statt fünf Minuten. Darüber, was der Einsatz der Fremdfahrer die BVG kostet, herrscht Stillschweigen. »Wir sorgen dafür, dass den Mainzern keine Kosten entstehen«, heißt es lediglich.

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