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Jenseits des Protokolls

Landesvertretung Baden-Württemberg zeigt Fotos von Erich Salomon und Barbara Klemm

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 4 Min.
Erich Salomon war ein berühmter Fotograf der Weimarer Republik. Sein Markenzeichen: das Ablichten von Politikern jenseits des Protokolls. Barbara Klemm ist von ihm beeinflusst. Eine Berliner Ausstellung ist beiden gewidmet.

Berlin, Tiergartenstraße 15. Nur Insider wissen, dass sich in jener von ausländischen Botschaften wimmelnden vornehmen Gegend unter dieser Adresse das Land Baden-Württemberg beim Bund vertreten lässt. Ein stattliches Gebäude wurde dort auf seinerzeit geräumtem Areal errichtet, wo einstmals der Bankier Emil Salomon seine Stadtvilla besaß und nach seinem Tod 1909 dem Sohn Emil Salomon vererbte. Jener hatte als studierter und promovierter Jurist nichts Besseres zu tun, als von hier aus 1928 eine atemberaubend steile fünfjährige Karriere als erster deutscher Fotojournalist zu starten. In kurzer Zeit wurde er so etwas wie der bildliche Chronist von Politik und Kultur der Weimarer Republik. 1933 hatte das ein abruptes Ende, als die Deutschen ihre jüdischen Mitbürger solcher Aufgaben für unwürdig befanden. Der von allen Aufträgen Abgeschnittene und ins holländische Exil Getriebene resignierte. Mit der Deportation nach Auschwitz kam 1944 für den Meisterfotografen der Tod, der Meister aus Deutschland.

Jetzt gibt es in der Tiergartenstraße ein spätes Erinnern. Ulrich Domröse stellte 2004 als Leiter der Fotoabteilung der Berlinischen Galerie bereits in großem Stil die Arbeit dieses Dr. Erich Salomon vor und machte damit dessen Namen in Berlin wieder bekannt. Seit 1980 verfügte die Galerie bereits über den Nachlass in einem »Erich-Salomon-Archiv«. Die Ausstellung wurde seinerzeit von einem umfangreich kommentierten Bildband begleitet, und der Sammlungsbestand darf für weitere Aktivitäten genutzt werden. Nunmehr ist seitens des Landes Baden-Württemberg und des »Instituts für Auslandsbeziehungen« Stuttgart eine interessante Variante ins Spiel gebracht worden: unter dem Titel »Zeitsprung« eine Ausstellung zu veranstalten, in der Erich Salomon in Beziehung gesetzt wird zu Barbara Klemm. Man wurde darauf aufmerksam, dass die in Karlsruhe aufgewachsene Fotoreporterin über lange Jahre in ähnlicher Weise wie der große Vorgänger zu offiziellen Anlässen sympathisch inoffizielle Fotos geliefert hat.

Der Zeitabstand rechtfertigt den Begriff »Zeitsprung«. Salomon war 1886 geboren und erst nach dem Umweg über die Juristerei durch den Verlag Ullstein per Zufall zum Fotografieren gekommen: Als Jurist hatte er Zutritt zu den Gerichtssälen und konnte dort unbemerkt für die Presse Schnappschüsse machen. Die Politik folgte auf dem Fuß. Klemm, Geburtsjahr 1959, war vom Vater her schon fotografisch vorbelastet, und lernte alles Handwerkliche Schritt für Schritt.

Eine Gemeinsamkeit gibt es trotzdem: Die umfassende Personalausstellung der Barbara Klemm im Berliner Gropiusbau 2013 zeigte bereits die dem Erbe Salomons verpflichtete Auffassung, Situationen bei politischen Begegnungen zu erfassen, die sozusagen nicht im Protokoll vorgesehen sind - und das alles in Schwarz-Weiß. Heute wie damals Bildmomente zu erhaschen, wo die Repräsentanten des demokratisch verfassten Staatswesens sich als Menschen wie du und ich zeigen - das eint die beiden.

Der weitere Unterschied liegt darin, dass die Nachfolgerin denselben Job unvergleichlich viel länger ausüben konnte. Jahrzehntelang begünstigt von einer imposant weiter entwickelten Kameratechnik, und vom exklusiven Auftraggeber »Frankfurter Allgemeine Zeitung« in jeder Weise gefördert. Umso wesentlicher ist nun das Erinnern an die Pionierleistung des Urhebers eines Verfahrens, welches uns heute geradezu selbstverständlich erscheint. Der Kontrast zwischen einer damals noch äußerst schwerfälligen Handhabung der Aufnahmekamera und dem blitzschnellen Reagieren des Akteurs mutet heute wiederum unglaublich an. Die größte Befriedigung für den Erfinder das Verfahrens bestand in der schnellen Anerkennung. Immerhin begrüßte ihn der französische Außenminister Aristide Briand 1931 als »Le Roi des Indiscrets«.

Nun also beide gleichberechtigt in den heiligen Hallen einer Landesvertretung. Rechts entlang Salomon, links Klemm. Das Haus steht zwar jeglichem Publikum am Tage offen. Aber Hand aufs Herz - wer geht da ein und aus? Mehr oder weniger doch nur die Offiziellen. Das ist der Wermutstropfen am Ganzen. Die Fotos von Klemm werden immer noch und immer wieder gedruckt. Die salomonischen Zeugnisse jedoch gehören als lebendiger Geschichtsreport viel öfter noch betrachtet und einbezogen in die öffentliche Wahrnehmung.

Zeitsprung. Erich Salomon /Barbara Klemm. Landesvertretung Baden-Württemberg, Tiergartenstraße 15, Tiergarten, bis 28. Oktober werktäglich 10-18 Uhr

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