Gelbe Sonne liegt noch in der Mottenkiste
Bei ihrem Gewerkschaftstag in Frankfurt am Main diskutiert die IG Metall über Arbeitszeit und Werkverträge
Eben sagte Jörg Hofmann, designierter Erster Vorsitzender der IG Metall, in der letzten Tarifrunde der Textilindustrie sei es gelungen, die Arbeitszeit »einheitlich in Ost und West auf 38 Stunden abzusenken«. Damit sei ein Stichwort aufgegriffen, dem sich die IG Metall 25 Jahre nach der Einheit stellen müsse: Die Angleichung der Arbeits- und Lebensbedingungen in Ost und West. Danach tritt die designierte Zweite Vorsitzende, Christiane Benner, im Portalhaus der Messe Frankfurt am Main ans Mikro und sagt: »Wir wollen mehr Zeit zum Leben, Lieben, Lachen. Da muss unsere IG Metall, da müssen wir dringend die Fenster aufreißen und unsere Sonne wieder reinlassen.«
Es ist Montag, der erste Tag vom einwöchigen Gewerkschaftstag der IG Metall. Die Mitglieder des geschäftsführenden Vorstands legen Rechenschaft für 2011 bis 2014 ab - und betreiben damit auch Eigenwerbung für die Wahl am Dienstag. Was das designierte Spitzenduo der weltweit größten Einzelgewerkschaft gesagt hat, lässt aufhorchen. Die gelbe Sonne mit der dicken »35« darin, steht für die Gewerkschaftsforderung nach der 35-Stunden-Woche, die in Westdeutschland in den 1980er und 1990er Jahren in harten Kämpfen durchgesetzt wurde. Im Osten dagegen hatte die IG Metall im Jahr 2003 nach vier Streikwochen eine der bittersten Niederlagen ihrer Geschichte einstecken müssen. Ein Trauma, von dem sich die Gewerkschaft noch immer erholt. »Die Sonne« liegt in der Mottenkiste.
Aber war das nicht eine verdeckte Ankündigung einer neuen Kampagne für die 35-Stunden-Woche? »Nein, nein«, heißt es aus der Pressestelle. Die Aussagen hätten sich beispielsweise auf die Bildungsteilzeit bezogen. Vorm Gebäude sagen einige Metaller dagegen: »Das haben wir so verstanden, und es wäre auch Zeit.« Ein Anderer sagt, die generelle Forderung nach Arbeitszeitverkürzung stehe nicht an, aber immerhin spreche man nach zwölf Jahren Totschweigen über das Trauma. Die 35-Stunden-Woche im Osten wäre ohne Streiks nicht durchzusetzen - und dafür braucht es die Belegschaften, die streiken.
Der letzte große Ausstand liegt lange zurück. Das macht sich auch in der Streikkasse bemerkbar. Sie ist prall gefüllt vor der Tarifrunde im kommenden Frühjahr. In den letzten vier Jahren hat die Gewerkschaft 1,9 Millionen Euro für Streikmaßnahmen ausgegeben, wie Hauptkassierer Jürgen Kerner erklärte. Zum Vergleich: Allein die Streiks bei der Post sowie im Sozial- und Erziehungsdienst sollen die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di in diesem Jahr rund 100 Millionen Euro gekostet haben. Die Streikkasse der IG Metall wird auf mehrere Milliarden Euro geschätzt, eine genaue Zahl nennt keine Gewerkschaft. Die Beitragseinnahmen werden 2015 auf 532 Millionen Euro erneut steigen, sagte Kerner. 15 Prozent davon gehen in die Streikkasse.
Mit der kommenden Tarifrunde steht der Gewerkschaft eine harte Auseinandersetzung ins Haus. Sie will darin das Ende des Werkvertragsunwesens erreichen, durch das Mitbestimmung und Tarifbindung unter Druck gesetzt und immer mehr Arbeit in den prekären Bereich auslagert wird. Die Werkverträge sind derzeit ein vorrangiges Projekt der IG Metall. Und Arbeitszeitverkürzung? Man spricht darüber, immerhin.
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