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Comics und Populismus

Argentinische Zeichnungen schmücken zwei Monate die Fassade der Akademie der Künste

  • Sebastian Loschert
  • Lesedauer: 4 Min.
Von Mafalda bis Corto Maltese: Aus Argentinien kommen einige der besten Comics. Zwei Monate lang werden sie auf die Fassade der Akademie der Künste projiziert.

»Ein sehr seltsames Land«, wundert sich Comic-Künstler Miguel »Rep« Repiso beim Podiumsgespräch in der Akademie der Künste. Warum Deutschland, das einen George Grosz hatte, danach keine anspruchsvolle Comic-Kultur entwickelte, könne er nicht verstehen. Dass der Klassiker »Corto Maltese« von Hugo Pratt hier wenig bekannt ist, macht den Argentinier fassungslos.

Sozusagen als Nachhilfe projiziert die Akademie seit Mittwoch und bis zum 17. Januar eine Auswahl aus der reichen Comic-Kultur Argentiniens an die Fassade am Pariser Platz. Szenen aus »Corto Maltese«, »El Eternauta«, »Mort Cinder« und natürlich »Mafalda« sind ab Einbruch der Dunkelheit zu sehen.

Johann Ulrich vom renommierten avant-Verlag muss »Rep« bei der Diskussion über »die kritische Kunst des argentinischen Comics« zustimmen: Während der Argentinier Héctor Oesterheld in den 1950er Jahren bereits literarische Texte zu Comiczeichnungen schrieb, die man heute Graphic Novel nennen würde, gab es in Deutschland allenfalls Tim und Struppi. Allerdings verweist Verleger Ulrich auf die »aktuell lebendige Entwicklung« in Deutschland der letzten zehn Jahre. Comics seien an den Universitäten angekommen und es gebe einen wachsenden Markt für anspruchsvolle Bildergeschichten.

Dabei erleben auch argentinische Klassiker eine Renaissance. Der avant-Verlag übersetzt gerade Oesterhelds Science-Fiction-Werk »El Eternauta« zum ersten Mal ins Deutsche, der Hamburger Verlag Schreiber & Leser legt lange vergriffene »Corto Maltese«-Bände neu auf, das Literaturhaus Stuttgart konzipiert eine Ausstellung zum »Mythos Eternauta«.

Für Akademiepräsidentin und Regisseurin Jeanine Meerapfel, in Buenos Aires aufgewachsen, gehört der Comic oder »la historieta« zum südamerikanischen Land wie der Tango. Als junges Mädchen flüchtete sie vor der Erwachsenenwelt in romantische Bildergeschichten. »Sie haben mich wohl dazu gebracht, Filme zu machen«, sagt sie im Rückblick. Ihre Eltern schauten sie schräg an, als sie die billigen Hefte verschlang. Denn mit dem Tango verbindet der Comic, dass er zunächst eine randständige, wenig geachtete, populäre Kunstform war, bevor er den Weg in die höheren Klassen, die Museen und die Anerkennung als »Neunte Kunst« fand. Viele Zeichner lebten in Armut. »In den 1970er Jahren hatte der Comic kein Prestige«, sagt Miguel Repiso.

Ein Mysterium, geradezu ein Wunder sei es deshalb, dass der Comic trotzdem in hoher Qualität erschien und ein Massenpublikum erreichte. Aber wie kam es, dass der Comic in Argentinien so eine politische Bedeutung gewann, dass sich Kunst und Politik in vielen Fällen so trefflich verbanden? »Durch den Peronismus«, so Repisos lapidare Antwort. Denn die populistische Bewegung, die auf General Juan Perón als Heilsbringer setzte, aber bitter enttäuscht wurde, bewirkte eine Politisierung der Gesellschaft. Mit seinem eigenen Populismus hält Repiso, der seit 1987 für die linke Tageszeitung »Pagina/12« zeichnet, denn auch nicht hinter dem Berg. Dass der Comic an Kunstschulen gelehrt werde und in teuren Bänden erscheine - schön und gut. »Aber der Comic muss massenhaft und populär sein«, sagt er.

Die Verflechtung von Comic und Politik wird nirgends deutlicher als in der Rezeptionsgeschichte von »El Eternauta«. Der postapokalytische Comic von Héctor Oesterheld und Zeichner Francisco Solano López ist heute der berühmteste Argentiniens. Ende der 1950er Jahre, zwanzig Jahre vor der letzten Militärdiktatur, beschreibt Oesterheld darin den Kampf eines Familienvaters gegen einen übermächtigen, tödlichen Feind, der Buenos Aires erobert. Der Protagonist begibt sich mit Freunden in den Kampf und verliert dabei seine Familie, die er nun in einer Odyssee durch Raum und Zeit sucht.

Zwanzig Jahre später scheint die Fiktion grausame Realität zu werden: Oesterheld folgt seinen vier Töchtern Beatriz (19), Diana (24), Estela (25) und Marina (18) in den Untergrund und den Kampf gegen die Militärdiktatur. Alle fünf werden entführt, gefoltert, getötet. Oesterheld ist einer von Tausenden, die in diesen Jahren »verschwinden«. Seine Leiche wurde nie gefunden. »Irgendwann kam er nicht mehr in den Verlag«, erinnert sich Miguel Repiso, der damals als Jugendlicher im Verlag Record arbeitete.

Heute trifft man in den Straßen von Buenos Aires den »Eternauta« an jeder Ecke. Anhänger des verstorbenen Präsidenten Néstor Kirchner bepinseln Wände mit der Comicfigur, wobei sie ihr das Konterfei Néstor Kirchners verpassen. Der argentinische Philosoph José Pablo Feinmann verteidigt in »Página/12« diese »Instrumentalisierung«, die andere beklagen: »Ich glaube, zum ersten Mal befindet sich Héctor Oesterheld auf dem Platz, den er verdient: unter den größten Schriftstellern unseres Landes. Der Eternauta ist für uns das Symbol des Helden, der zusammen mit seinen Freunden gegen den Tod kämpft.«

Zum kritischen Bewusstsein gehört freilich auch, seine eigene Rolle als Zeichner nicht zu überhöhen. Ob das Schicksal Oesterhelds und der Angriff auf Charlie Hebdo nicht zeigten, dass er als Karikaturist einen gefährlichen Job habe? »Nein«, antwortet »Rep«: »Zumindest in Argentinien gar nicht. Ich halte mich für überhaupt nicht mutig.«

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