Hausgeburten werden zum Auslaufmodell

Streit um die Finanzierung der Geburtshilfe geht zu Lasten der Mütter und der Hebammen

  • Daniel Staffen-Quandt
  • Lesedauer: 3 Min.
Wenn Frauen ihr Kind nicht in einer Klinik bekommen möchten, ist Kritik garantiert: von der Familie, Freunden, Ärzten. Hebammen beklagen, dass Geburten zunehmend pathologisiert werden.

Svenja Kürschner ist erneut schwanger. Nummer zwei soll im Februar zur Welt kommen, am liebsten in den eigenen vier Wänden. Doch aus diesem Wunsch könnte nichts werden - jedenfalls, wenn sich der Nachwuchs Zeit lässt. Seit ein paar Wochen gelten für gesetzlich Versicherte neue Regeln. Demnach muss sich eine schwangere Frau am dritten Tag nach dem errechneten Geburtstermin vom Frauenarzt eine »Unbedenklichkeitsbescheinigung« holen, wenn sie ihr Kind zu Hause statt in einer Klinik bekommen möchte. »Das nimmt mir meine Wahlfreiheit«, beschwert sich Svenja Kürschner.

Bereits seit vielen Jahren streiten sich die Hebammenverbände und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen um die Vergütung der Geburtshelferinnen, um abrechenbare Leistungen und vieles mehr. Da sich die zwei Parteien nicht einigen konnten, musste ein Schiedsspruch her. Über den sind aber viele freiberufliche Hebammen und Eltern äußerst unglücklich - die Hebammenverbände haben angekündigt, juristisch dagegen vorzugehen. Hebamme Kathrin Fleischmann aus dem Würzburger Main-Geburtshaus erklärt, warum die Geburtshelferinnen Sturm laufen: »Diese Regelung schränkt meine Berufsfreiheit ein.«

Geburten außerhalb von Krankenhäusern haben in Deutschland ein schlechtes Image, Hausgeburten erst recht. Unsicher und gefährlich seien sie, lautet das gängige Vorurteil. »Die Zahlen sprechen eine ganz andere Sprache«, sagt Fleischmanns Kollegin Heike Kralik. Geburten in den eigenen vier Wänden oder in Geburtshäusern seien statistisch gesehen nicht unsicherer oder gefährlicher für Mutter und Kind. »Wir Hebammen sind dafür ausgebildet, eine physiologische Geburt ohne Ärzte zu leiten«, sagt Kralik. Durch die neue Regelung würden Schwangerschaften über Termin pathologisiert.

Schon bislang gab es Ausschlussgründe für Hausgeburten. Etwa bei Mehrlingsgeburten oder auffälligen Befunden in der Schwangerschaft. Hingegen sei es wissenschaftlich nicht belegt, dass die Überschreitung des errechneten Geburtstermins auch ein Risiko darstelle, schreibt etwa die Bundeselterninitiative »Mother Hood« zum Inhalt des Schiedsspruchs: »Im Gegenteil gilt, dass Schwangerschaften bis zu 42 Wochen dauern können.« Das wären dann 14 Tage über dem nach üblichen Vorgaben berechneten Termin. Doch viele Ärzte interpretieren schon ein geringes Überschreiten des Termins als erhöhtes Risiko.

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen hält die neuen Regelungen indes für einen Fortschritt: »Für werdende Mütter, die sich für eine Hausgeburt entschieden haben, bedeuten sie ein Mehr an Sicherheit«, erklären die Kassen: »Erstmals gelten auch für Hausgeburten verbindliche Qualitätskriterien, wie es für Geburtshausgeburten bereits seit 2008 der Fall ist.«

Die Hebammen aus dem Würzburger Main-Geburtshaus finden es allerdings aberwitzig, dass Schwangere schon drei Tage nach errechnetem Termin von Ärzten eine Bescheinigung brauchen, dass alles in Ordnung ist mit Mutter und Kind. »Für viele freiberufliche Hebammen ist die Regelung existenzbedrohend«, sagt Hebamme Kralik: »Wer etwa mit zwei bis drei Hausgeburten im Monat kalkuliert, steht schlimmstenfalls ohne Einkünfte da, wenn die Frauen mehr als drei Tage übertragen.«

»Das Ganze ist extrem unausgegoren«, sagt Kraliks Kollegin Fleischmann. So gilt diese Einschränkung nur für Haus-, nicht aber für Geburtshausgeburten. »Wenn wir gegen die neuen Vorgaben verstoßen, bezahlt uns die Krankenkasse für unsere Arbeit nicht - und letzten Endes könnte sie die Verträge mit uns kündigen. Aber ohne die Kassenzulassung kann man als Hebamme kaum freiberuflich arbeiten.« Die Lage für Hebammen und Mütter ist verzwickt.

Für die hochschwangere Svenja Kürschner ist diese neue Regelung nicht gerade ein Grund zur Entspannung. Noch hoffe sie, dass diese sie nicht betrifft. Ihr erstes Kind kam zwei Tage nach dem errechneten Termin. Das wäre gerade noch rechtzeitig gewesen. Aber das zweite, so sagt man, kommt in der Regel eher früher. epd/nd

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