Gutmenschen

Gedanken zum Unwort des Jahres

  • Jürgen Amendt
  • Lesedauer: 3 Min.

Gutmenschen haben gestern das Unwort des Jahres 2015 gekürt. Man muss es so sagen, denn es handelt sich bei den Sprachwissenschaftlern ganz eindeutig um Intellektuelle, Menschen, zu deren Überzeugungen »das Ideal der Aushandlung gemeinsamer gesellschaftlicher Wertorientierungen in rationalen Diskussionen gehört«. Mit dem zitierten Halbsatz haben die Darmstädter Sprachwissenschaftler bereits vor vier Jahren den sogenannten Gutmenschen charakterisiert. Bei der Wahl zum Unwort des Jahres 2011 landete der Begriff allerdings noch auf Platz zwei.

Die Begründung für den Aufstieg des »Gutmenschen« an die Spitze der Unwort-Liste im vergangenen Jahr liest sich dagegen ungleich gefühlsbetonter. Als »Gutmenschen« seien 2015 »insbesondere auch diejenigen beschimpft (worden), die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingshilfe engagieren oder die sich gegen Angriffe auf Flüchtlingsheime stellen«. Mit dem Vorwurf »Gutmensch« würden »Toleranz und Hilfsbereitschaft pauschal als naiv, dumm und weltfremd, als Helfersyndrom oder moralischer Imperialismus diffamiert«.

Es darf angesichts solcher Begründungen als gesichert gelten, dass jene, die sich als »Gutmenschen« bezeichnen lassen müssen, moralisch auf der richtigen Seite stehen. Das gibt den Betreffenden ein gutes Gefühl, ist aber, wie der Medienwissenschaftler Norbert Bolz einmal bemerkte, für den gesellschaftlichen Disput verhängnisvoll. »Zwischen den Polen Lob und Tadel wird das Nachdenken eingespart, in den Feuilletons und Talkshows wird längst nicht mehr diskutiert, sondern nur noch emotionalisiert.«

»Gutmenschen« mussten sich den Vorwurf des »Gutmenschentums« übrigens nicht zu allen Zeiten von rechts gefallen lassen. In dem von Klaus Bittermann und Gerhard Henschel bereits 1994 herausgegebenen »Wörterbuch des Gutmenschen« kommt die Kritik ausdrücklich von links. »Gutmenschen« neigten dazu, eine »moralisch korrekte Schaumsprache« zu verwenden. Der Erfinder des Begriffs »Gutmenschen« soll aber der Mitherausgeber der Zeitschrift »Merkur«, Kurt Scheel, sein; jedenfalls behauptete dies Scheel 1997 in einem in der »Frankfurter Rundschau« abgedruckten Leserbrief. Scheel, selbst ein Linker, habe damit die leidlich emotionsgeladene, gefühlsbetonte und auf Harmonie gerichtete Haltung »der eigenen Leute« gegenüber Minderheiten ironisieren wollen. Der durchaus sehr linke Satiriker Wiglaf Droste – Mitherausgeber des zweiten Bandes des »Wörterbuchs des Gutmenschen« – lieferte dafür treffende Beispiele. So klebten etwa Schilder mit Sätzen wie »Wir bieten Schutz vor rassistischen Übergriffen!« bevorzugt in jenen städtischen Quartieren, in denen »mit derlei Übergriffen praktischerweise nicht gerechnet werden muss«. Richtig gut, so Droste, sei »eine Gesinnung eben erst, wenn sie wirklich gar nichts mehr kostet«.

Der Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) behauptet dagegen, die Wurzel des Wortes läge in der Zeit des Nationalsozialismus; schon Adolf Hitler habe in »Mein Kampf« die Vorsilbe »gut« in einem abwertenden Zusammenhang verwendet (»gutmeinende und gutmütige Menschen«).

Sei’s drum: Gutmenschen können sich seit gestern wieder ein gutes Stück besser fühlen.
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