Erdogans Krieg gegen fast alle
Martin Ling über die Offensive des Präsidenten der Türkei
Er nutzt die Gunst der Stunde: Recep Tayyip Erdogan. Beflügelt von der »Legitimation« durch die Terroranschläge in Suruc, Ankara und nun Istanbul bläst Türkeis Staatspräsident zur Jagd auf alle, die sich seinem Machtwillen und Staatsverständnis widersetzen.
Ziel der Offensive ist zwar seit dem Sommer auch der Islamische Staat (IS) in den Nachbarstaaten Syrien und Irak, doch weit mehr die Kurden, die sich seit sieben Monaten in ihren Hauptsiedlungsgebieten im Südosten einer Dauerattacke der türkischen Armee ausgesetzt sehen. Jetzt nimmt die Justiz die »Bande, die sich selbst Akademiker nennt« ins Visier, jene über 1000 Wissenschaftler, die Erdogan eine »Vernichtungs- und Vertreibungspolitik« in den Kurdengebieten vorwerfen. Erdogans Staatsapparat greift alles an, was nach Opposition riecht, Parteien wie die HDP, kritische Presse wie Milliyet, kritische Wissenschaftler, ganze Ethnien wie die Kurden.
Erdogan weiß, dass ihm niemand in den Arm fällt. Ohne Einbindung des NATO-Mitglieds Türkei lässt sich weder der IS eindämmen, noch die Flüchtlingskrise bewältigen. Dass Deutschland ab kommender Woche regelmäßige Regierungskonsultationen mit der Türkei beginnt, ist dafür nur ein Beleg mehr.
Noch vor fünf Jahren galt die Türkei vielen Menschen in den Ländern der Arabellion als ein Modell für einen modernen, islamischen Staat. Davon ist so wenig geblieben wie von der Arabellion selbst. Erdogan hat die Maske des Reformers längst abgelegt.
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