Erbspüree statt Wiener Schnitzel

Wissenschaftler streiten über die Vorzüge und Nachteile einer fleischlosen Ernährung

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 5 Min.
Rund sieben Millionen Bundesbürger leben vegetarisch. Die meisten tun dies um ihrer Gesundheit willen. Aber auch ethische Motive beeinflussen die Wahl der Ernährung.

Die Zahl der Menschen, die beim Essen auf Fleisch verzichten, hat in den letzten Jahren merklich zugenommen. Viele werden Vegetarier, weil sie überzeugt sind, dass eine fleischlose Kost sowohl ihrer Gesundheit als auch ihrem Wohlbefinden dienlich sei. Andere verzichten auf Fleisch, weil dessen Herstellung das Töten von Tieren voraussetzt, die im Vorfeld ihrer Verwertung oft unter katastrophalen Bedingungen gehalten werden.

Deutliche Unterschiede gibt es jedoch in der Konsequenz, mit der Menschen tierische Produkte meiden. Bei der klassischen vegetarischen Ernährung (Vegetarismus) sind zwar alle Nahrungsmittel tabu, die von getöteten Tieren stammen. Produkte von lebenden Tieren sind jedoch »erlaubt«. So verzehren die sogenannten Ovo-Lacto-Vegetarier (von lat. ovum = Ei, lac = Milch) auch Eier und Milchprodukte. Lacto-Vegetarier hingegen trinken zwar Milch, essen aber keine Eier, die wiederum auf dem Speiseplan von Ovo-Vegetariern stehen. Am konsequentesten wird der Verzicht auf alles Tierische im Rahmen des Veganismus praktiziert. Und das betrifft nicht nur die Ernährung. Veganer achten in der Regel auch darauf, dass ihre Kleidung und andere Gebrauchsgegenstände frei von tierischen Inhaltsstoffen sind.

Wie aus wissenschaftlichen Studien hervorgeht, hat eine ovo-lacto-vegetarische Ernährung zahlreiche gesundheitsfördernde Wirkungen. Denn die hierbei aufgenommene Nahrung ist reich an Vitaminen und Ballaststoffen und enthält viele ungesättigte und wenige gesättigte Fettsäuren. Vegetarier erkranken daher seltener an Bluthochdruck, Arteriosklerose, Gicht und Diabetes. Außerdem sind sie wegen der aufgenommenen Ballaststoffe besser vor Dickdarmkrebs geschützt als Fleischesser. »Die heutigen Empfehlungen für die Auswahl und Zubereitung von Lebensmitteln zur Senkung des Risikos für verschiedene ernährungsassoziierte Krankheiten können mit einer ovo-lacto-vegetarischen Ernährung fast optimal erfüllt werden«, sagt Claus Leitzmann, Ernährungswissenschaftler an der Universität Gießen.

Gleichwohl ist ein Verzicht auf tierische Produkte nicht automatisch gesund. Wer als Vegetarier oder Veganer seinen Speiseplan falsch zusammenstellt, leidet nicht selten unter einem Mangel an speziellen Nährstoffen, die wiederum im Fleisch vorhanden sind: Eisen, Zink, Vitamin B 12 etc. Bei einer fleischlosen Ernährung müssen diese Stoffe, soweit möglich, dem Körper in pflanzlicher Form zugeführt werden. Viel Eisen ist zum Beispiel in Hülsenfrüchten und Vollkornbrot enthalten, reichlich Zink findet man in Paranüssen und Haferflocken. Um sich mit dem für die Blutbildung wichtigen Vitamin B 12 zu versorgen, empfehlen Ernährungswissenschaftler den Verzehr von Eiern und Milchprodukten.

Nach heutiger Kenntnis können sich auch Kinder ovo-lacto-vegetarisch ernähren, sofern gewährleistet wird, dass sie dabei die für das Wachstum notwendigen Nährstoffe in ausreichender Menge aufnehmen. Dagegen ist eine vegane Ernährung, auf die derzeit in Deutschland rund 800 000 Frauen und Männer schwören, für Babys und Kinder nicht geeignet. Denn das Risiko einer Unterversorgung mit Energie und Nährstoffen (Eisen, Kalzium, Jod, Vitamin B 12, Vitamin D etc.) sei hier einfach zu groß, erklärt die »Deutsche Gesellschaft für Ernährung« (DGE), die daher auch schwangeren und stillenden Frauen davon abrät, sich vegan zu ernähren. Bei gesunden Erwachsenen hingegen könne der Energie- und Nährstoffbedarf durch eine ausgewogene vegane Kost gedeckt werden - mit positiven Auswirkungen auf deren Fitness. So haben Veganer im Vergleich zu Fleischessern und »Mischköstlern« ein geringeres Risiko, an Adipositas (Fettleibigkeit) und Bluthochdruck zu erkranken. Darüber hinaus konnte in einer Studie gezeigt werden, dass sich durch eine fettarme vegane Ernährung bei Diabetes-Typ-2-Patienten die Medikation merklich reduzieren lässt. Bei Veganern, die nicht auf eine ausreichende Nährstoffversorgung achten, besteht indes ein erhöhtes Risiko für Osteoporose sowie verschiedene Gefäßerkrankungen.

Die Diskussion über das Für und Wider des Vegetarismus wird häufig erschwert durch die Tatsache, dass es dabei nicht allein um die »richtige« Ernährungsweise geht. Schon Gustav Struve, einer der Begründer der vegetarischen Bewegung in Deutschland, verfasste 1869 ein Buch mit dem bezeichnenden Titel: »Pflanzenkost - die Grundlage einer neuen Weltanschauung«. Tatsächlich fühlen sich viele Vegetarier und Veganer bis heute als bessere Menschen und unterstellen den Fleischessern wenig Mitgefühl für Tiere sowie ein umweltschädliches Verhalten. Fleischesser dagegen assoziieren mit ihrer Ernährungsweise Kraft und Stärke und halten Menschen, die eine vegetarische Kost bevorzugen, für Weichlinge.

Solcherart Vorurteile zu entkräften, ist erfahrungsgemäß schwierig. Und auch in der Wissenschaft wurde die Frage, ob zwischen der Ernährungsweise eines Menschen und dessen sozialen Einstellungen ein Zusammenhang besteht, bisher nicht näher untersucht. Diese Lücke haben Forscherinnen aus Deutschland jetzt zu schließen versucht. Das Team um die Epidemiologin Susanne Singer (Universität Mainz) und die Psychologin Petra Veser (Universität Wuppertal) befragte rund 1400 Personen im Alter von 12 bis 86 Jahren nach ihren Ernährungsgewohnheiten und sozialen Einstellungen. 35 Prozent der Studienteilnehmer waren Fleischesser, 31 Prozent Vegetarier und 34 Prozent Veganer. Im »British Food Journal« (Bd. 117, S. 1949) berichten die Wissenschaftlerinnen über ihre Ergebnisse. Danach neigen Menschen, die Fleisch verzehren, häufiger zu Vorurteilen als Vegetarier und Veganer. Und sie befürworten innerhalb von Gruppen eher autoritäre Strukturen und Hierarchien. Beide Unterschiede, so die Autorinnen weiter, seien bei Männern stärker ausgeprägt als bei Frauen.

Dass eine solche Studie nicht gerade dazu beiträgt, die sich oft heftig befehdenden Parteien von Vegetariern und Fleischessern einander näher zu bringen, versteht sich. Genau besehen haben Singer und ihre Kolleginnen allerdings nur eine Korrelation und keine Kausalität zwischen der Ernährungsweise von Menschen und deren sozialen Einstellungen aufgezeigt. Wie aus der Studie überdies hervorgeht, mussten die Probanden ihre Anfälligkeit für Vorurteile auf einem Fragebogen selbst einschätzen. Dies wiederum könnte zu einer merklichen Verzerrung der Daten geführt haben. Zwar ist vorstellbar, dass sich Vegetarier aus politischen oder ethischen Gründen weniger von Vorurteilen und Autoritäten leiten lassen als Nicht-Vegetarier. Ursächlich dafür sind aber keineswegs spezielle Essgewohnheiten, obgleich eine der Studienautorinnen vermutet, dass die Ernährung eines Menschen die Zusammensetzung seiner Darmflora beeinflusse und damit sein Verhalten zuweilen in eine bestimmte Richtung lenke. Wie schön, wenn es so einfach wäre ...

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