Der Pianopoet
Neue Wohlfühlklassik
Reden wir von multikompatibler Wohlfühlklassik, einer Musik, die sich stilistisch zwischen Michael Nymans Filmscores und offenem Kitsch bewegt. Musik, die sich sowohl als Hintergrund für einen Gesichtscreme-Werbespot eignet wie zur Begleitung dieser ästhetisierten Naturdokumentationen, deren Bilder so glatt und opulent sind, dass man meint, sie seien an Superhochleistungsrechnern in den Pixar-Studios zusammengeleimt worden. Musik, die gar keinen Hehl daraus macht, eine Art Wattebausch fürs Gemüt sein zu wollen: ein bisschen traurige, aber auch irgendwie sahnig klingende Streicher, ein bisschen meditatives Piano, ein bisschen verträumt, ein bisschen die Seele streichelnd, ein bisschen Richard Clayderman, ein bisschen süßlich-melancholisch. Strahlend gelbes Mondlicht, das unter Wolken hervorkommt, duftender Jasmintee, frisch gebügelte dunkelblaue Designerbettwäsche, nach Zimtstangen riechender Badeschaum, Kerzenlicht. Dem Reklame-Infoblatt zufolge dreht sich hier »alles um die magische Stimmung am Übergang zwischen Tag und Nacht, wenn Euphorie und Sehnsucht, Melancholie und Erinnerung ineinanderfließen. Piano-Poet Federico Albanese übersetzt diese Empfindungen in Musik.« Und natürlich lassen die Töne »beim Hören genügend Raum zur Reflexion«. Schlimme Sätze aus dem Katalog der 1000 Phrasensätze, mutwillig zusammenmontiert aus Sprachabfällen.
Sie wissen schon. Es handelt sich bei dieser Musik also um die Sorte Tiefsinn simulierender Akustikschmalz, mit dem man gerne Filmszenen wie etwa die folgende unterlegt: Die schöne Protagonistin (große Augen, elegant gekleidet, sich anmutig bewegend), die soeben ihren Geliebten verlassen oder irgendeine andere einschneidende Erfahrung gemacht oder Entscheidung getroffen hat, sitzt im Zug und schaut sinnierend auf die vorbeiziehende Landschaft. Schnitt auf die wahlweise pittoresk zugeschneite oder farbenfroh frühherbstliche Landschaft, die irgendwie edel und bedeutungsvoll und religiös aufgeladen wirkt. Schnitt zurück auf die irgendwie ins Leere blickenden, unergründlichen Augen der Darstellerin. Dann wieder die Landschaft: harmonisch platzierte Hügel, silbrig glitzernde Seen, frisch geputzte Holzhäuslein, Pianotropfen, die ans Fenster klopfen.
So eine Art Musik macht der Mailänder Komponist und »Piano-Poet« Federico Albanese. Dazu passt auch, dass der Künstler auf dem Innencover unter Wolken in einer blau eingefärbten Landschaft herumsteht und die Instrumentalstücke Titel tragen wie »Time has changed«, »My piano night« oder »And we follow the night«. Kurz: Man möchte sich gut und schwer bewaffnen für den nicht ganz auszuschließenden Fall, dass irgendwo bei einem in der Nähe einmal unangekündigt diese Musik gespielt wird.
Federico Albanese: »The Blue Hour« (Neue Meister/Berlin Classics)
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