Was von der Jugend bleibt
Roland Schimmelpfennigs »Das schwarze Wasser« als Musiktheater in der Neuköllner Oper
Mit der Musiktheaterform ist dem Stück »Das schwarze Wasser« von Roland Schimmelpfennig Gutes widerfahren. Die Arbeit des erfolgreichen Autors ist ziemlich neu, und mehrere Theater stürzten sich sofort darauf. Ein deutliches Zeichen dafür, wie hungrig die Bühnen nach problemreicher Gegenwartsdramatik sind. Auf dem Sprung war auch die Neuköllner Oper, die »Das schwarze Wasser« in der ihr unverwechselbaren Art als Uraufführung in den Spielplan einfließen ließ. Michael Höppner schuf nach dem Theaterstück dafür die Fassung und inszenierte sie.
In dem Stück geht es zunächst um deutsche und türkische Jugendliche, die nachts am dann schwarz erscheinenden Wasser im geschlossenen Schwimmbad aufeinandertreffen. Der Nachtwächter stellt sich blind, gönnt ihnen das. Er kann sich erinnern, wie schnell die unbeschwerte Zeit der Jugend verrinnt. Nach kurzem Machtspielchen werden sich die zwei Gruppen einig, gemeinsam Spaß zu haben. Sie rauchen, trinken, ein Joint macht schon mal die Runde.
Einige von ihnen kommen sich nah. Die Liebe von Frank (Robert Elibay-Hartog) und Leyla (Marielou Jacquard) ist stärker, als sie es zu dieser Zeit spüren. Das wird sich Jahre später herausstellen. Zunächst verlieren sie einander. Er studiert in einer anderer Stadt. Bald bekommt sie keine Briefe mehr.
Von den Nächten am schwarzen Wasser blieben Fotos, die nach 20 Jahren der Chefredakteur in einer Redaktion als Futter für einen vermeintlichen Skandal lässig auf den Tisch knallt. In der Karriereströmung ist Frank nämlich inzwischen als designierter Innenminister angekommen. Auch die anderen Deutschen aus der Schwimmbadgruppe ruderten sich an gute Posten, während die Türken am üblichen Imbiss, als Zahnarzthelferin oder wie Leyla an der Supermarktkasse strandeten. Alles ganz normal. Beste Berufschancen, Geld und Zeit zum Studieren auf der einen Seite, der sogenannte Migrationshintergrund wie ein ewig zu schleppender Rucksack voller Steine auf der anderen.
Das interessiert die Journalisten wiederum nicht. Auf Frank aufmerksam geworden, weil er kurz vor seiner Vereidigung zusammenbrach und ins Krankenhaus musste, wittern sie, dass er sich anhand der Fotos von seinem Posten spülen ließe. Das wäre die Schlagzeile von morgen. Gemeinsam vertiefen sich die Schreiber dermaßen in die Geschichte, dass sie die Ereignisse nachspielen. So wechseln Hrund Ósk Árnadóttir, Robert Elibay-Hartog, Marielou Jacquard, Magnús Hallur Jónsson, Katarina Morfa und Angelos Samartzis sauber und kraftvoll singend zeitweise die Rollen von der Tastatur zum schwarzen Wasser.
Für die Zuschauer ist der Blick frei auf die Redaktion mit dem Arbeitstisch in Wabenform, an dessen sechs Ecken Journalisten arbeiten. Sie sollen wohl emsig ackern wie Bienen. Der freie Innenraum der Wabe in gut durchdachter Ausstattung von Judith Philipp wird zeitweise zum schwarzen Wasser. Im Hintergrund ein großer Raum hinter Glas, in dem mancherorts die Chefs ankern. Hier hat das Orchester angelegt.
Die Komponisten Vivan und Ketan Bhatti tauchten tief in das Parallelthema ein, denn fast alles im Stück passiert in der Art. Sie nutzen für die Sänger den Chor für grundsätzliche Aussagen, sprechen von gleichzeitig Gegensätzlichem, weil sie beispielsweise elektronischen Clubsound kammermusikartig arrangierten. Ein dem Wasser eigenes Grundrauschen, aus dem sich alles erhebt, war ihnen wichtig. Ungewöhnlich ist das Schlagwerk mit Trommeln, Marimba, antiken Zimbeln, Thai Gongs bis hin zum Holzblock. Alexandros Giovanni ist von Instrument zu Instrument unterwegs. Doch drängt sich die Musik, einstudiert von Yonatan Cohen (am Klavier) niemals in den Vordergrund, scheint wie fürs Unbewusste des Publikums gemacht. Sie strömt harmonisch mit Text und Gesang, treibt aber durchaus zeitweise an.
Am Ende wird ein Zuschauerblock zu Leylas Wohnhaus, in dessen Nähe sie Frank nach 20 Jahren zufällig wiedersieht und sich die Wellen überschlagen. Natürlich ist das alles nur Theater und wird die Welt nicht ändern. Was die Chancengleichheit betrifft, scheint es überdies vereinfacht.
Der Auslöser für den Rücktritt Franks als Minister ist jedoch keineswegs die in Eifer gestrickte Jugendsündenstory. Nein, was Frank und Leyla betrifft, setzt das Stück letztlich auf das emotionale Gespür des Publikums. Es entscheidet, ob es Schmerz über verlorene Zeit wahrnimmt.
Nächste Vorstellungen: 28. bis 31.1., 4.-7., 11.-13., 20./21.2., 20 Uhr, Neuköllner Oper, Karl-Marx-Str. 131
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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