Schwedens Flüchtlinge vor der Abschiebung

Zusammenarbeit mit Deutschland beraten

  • Bengt Arvidsson, Stockholm
  • Lesedauer: 3 Min.
Schwedens rot-grüne Regierung will Zehntausende abgelehnte Asylbewerber notfalls mit Zwang abschieben - am liebsten in Zusammenarbeit mit Deutschland.

Schweden sieht sich als »humanitäre Großmacht«. Doch das noch vor kurzem flüchtlingsfreundlichste Land Europas zieht die Zügel immer straffer. Schwedens rot-grüne Regierung will bis zu 80 000 abgelehnte Asylbewerber mit Charterflugzeugen abschieben. Notfalls mit Zwang. Das sagte der sozialdemokratische Innenminister Anders Ygeman am Donnerstag der Wirtschaftszeitung »Dagens Industri«.

Bis zum Jahreswechsel hatten 163 000 Personen Asyl im 9,8 Millionen Einwohner zählenden Schweden beantragt. Rund 55 Prozent der Anträge werden voraussichtlich bewilligt und 45 Prozent abgelehnt. Die abgelehnten Asylbewerber sollen nun auch das Land verlassen. »Ich glaube, es handelt sich um 60 000 bis 80 000 Personen«, sagte Ygeman. Er habe Polizei und Einwanderungsbehörde dazu aufgerufen, entsprechende Strukturen zu schaffen.

Die meisten Abschiebungen sollen wegen der langen Prüfverfahrenszeiten Anfang 2017 durchgeführt werden. » Wir müssen die Ressourcen dafür erweitern und die Zusammenarbeit der Behörden verbessern«, sagte der Minister. »Die bevorzugte Maßnahme ist, dass wir die freiwillige Heimkehr durchsetzen und dafür gute Voraussetzungen schaffen. Aber wenn das nicht klappt, müssen wir Zwang anwenden.«

Der Innenminister würde dafür Charterflüge unter EU-Regie favorisieren. Er habe am Dienstag Gespräche mit seinem deutschen Amtskollegen Thomas de Maizière (CDU) über eine mögliche Zusammenarbeit geführt. Bislang wurden für Heimkehrer vor allem Linienflüge genutzt. Stockholm will unter anderem Afghanistan und Marokko überreden, Widerstände zur Rücknahme von Flüchtlingen aufzugeben.

Schwedens Aufnahmesystem war im vergangenen Jahr kollabiert. Flüchtlinge mussten teils im Freien übernachten. Zwischen sechs und neun Monate dauerte es, bis in Asylfällen entschieden wurde. Abgewiesene Flüchtlinge wurden de facto geduldet. Nicht anerkannte Flüchtlinge, die einfach in den Asylheimen blieben, obwohl die Plätze dringend für neu Ankommende gebraucht werden, bekamen teils weiterhin staatliche Unterstützung in Form von Geld für Essen, Kleidung und Medizin. Auch gilt in Schweden eine medizinische Grundversorgungspflicht für Personen ohne Aufenthaltsgenehmigung.

Die stetig steigende Anzahl Nichtausreisewilliger wurde lange ausgeklammert. Weder bürgerliche noch sozialdemokratische Politiker wollten dieses Problem angehen. Doch die Stimmung kippte als klar wurde, dass immer mehr Flüchtlinge kommen und die Einwanderungsbehörde zugab, der Situation nicht mehr gewachsen zu sein.

Auch der politische Druck wuchs. Die Schwedendemokraten, bis dahin einzige flüchtlingsfeindliche Partei, hat ihren Stimmenanteil seit ihrem erstmaligen Einzug ins Parlament 2010 mit 5,7 Prozent auf über 20 Umfrageprozent ausweiten können.

Schweden hat zum Jahreswechsel scharfe Grenzkontrollen nach Dänemark und Deutschland eingeführt, die es papierlosen Flüchtlingen unmöglich machen, noch ins Land zu kommen. Auch gibt es nur noch befristete Aufenthaltsgenehmigungen. Der Angehörigennachzug wird zeitlich begrenzt und an die finanzielle Selbstversorgung geknüpft. Die drastisch angestiegene Anzahl unbegleitet kommender Flüchtlingskinder soll durch medizinische Alterstests begrenzt werden. Bei einem Teil gilt es als fraglich, ob sie minderjährig sind. Bereits diese Maßnahmen haben seit Jahreswechsel zu einem drastischen Abfall der Flüchtlingszahlen in Schweden geführt.

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