Niemals wieder Opfer sein
Die afghanische Menschenrechts- und Demokratieorganisation AHRDO stellte in der Berliner Werkstatt der Kulturen ihr eindrucksvolles Programm zur Traumabearbeitung und Mitgestaltungsermächtigung vor. Wichtiges Mittel dabei: das Theater der Unterdrückten
Weinende Frauen aller Altersgruppen, die Köpfe in Tücher gehüllt. Sie erzählten sich Geschichten, hörten einander zu und umarmten sich. Am Schluss erhoben sie die Hände zu Fäusten. Zu sehen waren diese Bilder auf der Projektionsleinwand, als drei Abgesandte der afghanischen Menschenrechts- und Demokratieorganisation (AHRDO) am Dienstagabend ihre Workshops vorstellten. In diesen berichteten die Frauen - teilweise zum ersten Mal öffentlich -, wie sie Familienangehörige im Krieg verloren hatten. Sei es im ersten afghanischen Krieg, dem mit der Sowjetunion, dem zweiten, in dem sich verschiedene Mujahedin-Verbände bekriegten, dem dritten von den Taliban geprägten oder dem vierten, in welchem derzeit der afghanische Staat gegen die Taliban und neuerdings auch gegen Verbände des Islamischen Staates kämpft. Offiziell wird die Opferbilanz gern totgeschwiegen. Eingesperrt in die Herzen der Angehörigen bleiben die Kriegstoten und bedrücken die Überlebenden. Die Frauen stellten die Ereignisse in Szenen da, als Spielerinnen oder Regisseurinnen. Oder sie drückten sie in Installationen, sogenannten Memory Boxes, aus. Und ließen dann ihren Emotionen freien Lauf.
Das Besondere der Arbeit der AHRDO besteht aber darin, nicht bei diesem schon großen, wichtigen Schritt stehen zu bleiben. »So besonders und ergreifend diese Resultate der Workshops auch sein mögen - wir machen da aber nicht Halt, sondern denken noch an den Tag danach«, erklärte Hjalmar Joffre-Eichhorn, deutsch-bolivianischer Theatermacher und Mitbegründer der Organisation, während der Präsentation. Die Aktion am »Tag danach« bestehe darin, »politisch zu werden«; von der Stadtverwaltung etwa die Benennung einer Straße nach den Opfern des Krieges zu fordern; eine politische Kampagne für die Verankerung von Frauenrechten in der Verfassung zu initiieren; Frauenräte in Dörfern und Städten zu etablieren.
All diese Dinge sind umgesetzt. Jetzt tourt die AHRDO durch Europa, um Partner zu finden für das nächste große Projekt, eine Theaterinszenierung über Drohnenkrieg und Selbstmordattentäter. »Wir wollen das Stück nicht nur in Afghanistan zeigen, sondern auch im Westen, von wo aus der Drohnenkrieg geführt wird«, begründet Joffre-Euchhorn die Initiative. Der Drohnenkrieg unterscheidet sich für die Bevölkerung vor allem dadurch von all den vorherigen Kriegen, dass er jetzt permanent ist. »Die Überwachung ist allgegenwärtig. Früher konnte man hören, wie sich ein Luftangriff nähert, jetzt fällt der Todesblitz aus heiterem Himmel«, erläuterte Hadi Marifat, afghanisches Mitglied der AHRDO, die Veränderung. Ein Unterschied ist auch, dass lokale Medien über Selbstmordanschläge der Taliban berichten und sie verurteilen, die Opferbilanz der Drohnenattacken hingegen nicht erwähnt wird, da es sich ja um »Schutzmaßnahmen« handelt. Interessante Einblicke in ein Land, das in der internationalen Aufmerksamkeitshierarchie wieder nach hinten gerutscht ist.
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