Wachsendes Radbegehren
Der »Volksentscheid Fahrrad« findet die Unterstützung der Opposition
Der Gesetzesentwurf für den geplanten »Volksentscheid Fahrrad« ist noch nicht einmal ausgearbeitet, da wird er im Berliner Abgeordnetenhaus schon rege diskutiert. Auf Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beschäftigte sich das Parlament am Donnerstag in einer Aktuellen Stunde mit dem Begehren. Fraktionsübergreifend beteuerten die verkehrspolitischen Sprecher ihre Unterstützung für eine fahrradfreundliche Verkehrspolitik. An Vorwürfen gegen die Volksinitiative mangelte es seitens der Großen Koalition allerdings nicht.
»Ich kritisiere die politischen Ansätze des Volksentscheids sehr deutlich«, sagte etwa Verkehrssenator Andreas Geisel (SPD). »Die Umverteilung des öffentlichen Raumes zugunsten der Radwege braucht Zeit und Diskussion. Die kann man nicht per Gesetz verordnen.« Geisel warf den Initiatoren vor, Radfahrer in ihrem Konzept zu bevorzugen - wie in Amsterdam, wo sogar die Barrierefreiheit eingeschränkt werde. Der Senat hingegen verfolge eine integriertes Verkehrskonzept, das auch Fußgänger, den Öffentlichen Personennahverkehr und Autofahrer berücksichtige. Dafür seien die Ausgaben für den Ausbau des Radverkehrs seit 2012 bereits verdreifacht worden, auf 15,3 Millionen Euro. Verbesserungen seien jedoch immer möglich, räumte Geisel ein.
Im Vergleich zu anderen europäischen Großstädten fällt die Berliner Finanzierung des Radverkehrs dabei eher klein aus. Während Oslo im Jahr 2015 durchschnittlich über 70 Euro pro Einwohner für den Radverkehr ausgab und London bei immerhin über 17 Euro lag, gab der Senat für die Radfahrt gerade einmal 4 Euro pro Einwohner aus, rechnen die Organisatoren der »Initiative Clevere Städte« auf ihrer Homepage vor. Im ersten Entwurf des Entscheids fordern sie 200 000 neue Radstellplätze, zwei Meter breite Fahrradstreifen entlang der Hauptstraßen, 350 Kilometer Fahrradstraßen und grüne Wellen für Radfahrer in den Wohngebieten.
Forderungen, die von der Opposition unterstützt werden. »Das Volksbegehren ist Notwehr gegen eine Politik, die das Leben von Fahrradfahrern gefährdet«, sagte Stephan Gelbhaar von den Grünen. Die zögerliche Umsetzung einer neuen Verkehrsstrategie durch den Senat führe monatlich zu Verkehrstoten, noch immer seien viele Problem-Kreuzungen zu unsicher für Radfahrer.
Bereits im Mai 2014 hatte die Berliner Senatsverkehrsverwaltung nach einem Online-Dialog mit den Bürgern die 30 am häufigsten genannten Konfliktpunkte im Straßenverkehr ermittelt. Auf Nachfrage der Piraten-Fraktion teilte der Senat Ende Februar mit, was seither getan wurde: Fast nichts. Konkrete Veränderungen an den Unfallschwerpunkten gab es am Moritzplatz. Der Großteil der genannten Kreuzungen blieb unverändert, darunter der Neuköllner Hermannplatz und die Frankfurter Allee in Friedrichshain.
»Der Volksentscheid ist Ergebnis des Nichthandels der vergangenen Jahre«, kritisierte auch Harald Wolf von der LINKEN den Senat. Dem Vorwurf der Großen Koalition, das Volksbegehren diskriminiere Verkehrsteilnehmer zugunsten von Radfahrern, widersprach der Verkehrspolitiker. Aktuell würden nur drei Prozent der Straßen ausschließlich von Radfahrern genutzt, jedoch 58 Prozent von Autos. Eine Umverteilung der Verkehrsfläche zu Lasten der Autofahrer sei unumgänglich.
Auch die Initiatoren der Fahrradinitiative können die Kritik des Senats an einem fehlenden integrierten Verkehrskonzept nicht nachvollziehen. »Offensichtlich hat Senator Geisel unseren Gesetzentwurf noch nicht gelesen«, sagte Heinrich Strößenreuther von der »Initiative Clevere Stadt« dem »nd«. »Zugunsten der Fußgänger und nach Absprachen mit dem Verband ›Fuß e.V.‹ fordern wir, die Radwege in 3,5 Metern Abstand von den Häuserwänden anzulegen.« Die Initiative schlägt zudem eine Vorrangschaltung für Busse in der grünen Welle für Radfahrer vor. »Auch Fußgänger können sich freuen, wenn das Volksbegehren durchkommt.«
Die öffentliche Lesungsphase für den Volksentscheid ist nun abgeschlossen. Bis Ende März soll das fertige Konzept dem Senat vorgelegt werden. Spätestens Anfang Mai wollen die Initiatoren mit dem Sammeln von Unterschriften beginnen.
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