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Silvester in Berlin: Neujahrsgrüße an alle hinter Gittern
Die traditionelle Silvester-Demonstration vor dem Gefängnis in Moabit fordert ein Leben in Freiheit für alle
»Wir grüßen unsere Genoss*innen und alle, die hinter Mauern sitzen. Auch, wenn es sich wahrscheinlich oft nicht so anfühlt: Ihr seid nicht allein!« Allein sein wollen die wenigsten Menschen in der Silvesternacht, doch den vielen Inhaftierten hinter den Gefängnismauern bleibt kaum etwas anderes übrig. Zumindest ein paar Gefangene in der Berliner Justizvollzugsanstalt Moabit empfangen aber als schwarze Silhouetten hinter vergitterten Fenstern winkend die Neujahrsgrüße der traditionellen Knast-Demonstration. Etwa 400 linke Demonstrant*innen sind zusammengekommen, um die Isolation zu durchbrechen und mit den Gefangenen in Moabit zusammen den Jahreswechsel zu begehen. Darunter auch Unterstützer*innen des dort einsitzenden Nanuk, aus deren Redebeitrag die eingangs zitierten Worte stammen.
»Wir erleben gerade eine enorme Repressionswelle, während gleichzeitig der Faschismus immer stärker wird«, heißt es in dem Redebeitrag. Nanuk ist im Rahmen des Antifa-Ost-Verfahrens festgenommen worden, ihm wird die Unterstützung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Nun sitzt er in der JVA Moabit in Untersuchungshaft. Dass die staatlichen Behörden Antifaschist*innen verfolgen und wegsperren, kritisieren die linken Demonstrant*innen. »Wir appellieren nicht an den Staat, sondern sehen ihn als Gegner im Kampf gegen den Faschismus und für das freie Leben für alle«, sagen die Unterstützer*innen von Nanuk.
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Die Aktivist*innen in Moabit zeigen sich solidarisch mit allen Verfolgten und Gefangenen des Antifa-Ost-Verfahrens. Auch jene, die im Zuge der Proteste gegen den Tag der Ehre, einem Nazi-Aufmarsch in Budapest, von den staatlicher Repression betroffenen sind, sind ein zentrales Thema der Demonstration, zum Beispiel in einem Redebeitrag der Kampagne NS-Verherrlichung stoppen. Unter anderem die juristisch umstrittene Auslieferung von Antifaschist*in Maja T. an Ungarn hatte im August für große Wut gesorgt. Auf der Demonstration sind laute »Free Maja«-Rufe zu hören. »Lasst uns alles Mögliche und vielleicht auch Unmögliche tun, um auf diese Schweinereien adäquat zu antworten«, sagt NS-Verherrlichung stoppen und ruft dazu auf, sich auch in diesem Jahr den Protesten gegen den Tag der Ehre am 8. Februar in Budapest anzuschließen.
Aber nicht nur für inhaftierte Antifaschist*innen fordern die Demonstrierenden ein Leben in Freiheit. »Down with all prisons«, also die Abschaffung aller Gefängnisse, lautet die Forderung des Fronttransparents der Demonstration. In zahlreichen Redebeiträgen und Parolen wird das Gefängnis-System als solches angegriffen, als »schärfstes Schwert der Repression« gegen alle, die sich nicht an an die Regeln des bestehenden Systems »halten wollen oder können«, wie es in einem Beitrag der Roten Hilfe heißt. So wird etwa darauf aufmerksam gemacht, dass etwa von Rassismus Betroffene und arme Menschen diesem System besonders ausgeliefert sind. In einem Grußwort des in Tegel inhaftierten Andreas Krebs sowie in anderen Beiträgen erinnern die Knast-Gegner*innen an Ferhat Mayouf, der 2020 in der JVA Moabit in seiner Zelle verbrannte. Noch immer sind die Umstände seines Todes nicht aufgeklärt.
»Lasst uns alles Mögliche und vielleicht auch Unmögliche tun, um auf diese Schweinereien adäquat zu antworten.«
Kampagne NS-Verherrlichung stoppen
Wie viel die Moabiter Insassen von den Redebeiträgen und den abgespielten Liedern, die sich Inhaftierte vorab gewünscht haben, hören konnten, ist fraglich. Die Organisator*innen der Demonstration mussten improvisieren, weil der eingeplante Lautsprecherwagen aufgrund von Krankheit kurzfristig ausfiel. So wurden große Boxen auf ein Auto geschnallt, um die Botschaften der Aktivist*innen über die Gefängnismauern zu transportieren, doch diese waren etwas leiser als erhofft. »Wir freuen uns, dass die Demonstration trotz der Krankheitsausfälle stattfinden konnte und noch mehr Leute als im vergangenen Jahr hergekommen sind. Es ist schön, dass die Tradition nicht abbricht und jedes Jahr die JVA beschallt wird«, sagt Rumo Winter vom Organisationsteam der Demonstration zu »nd«.
Man habe in diesem Jahr besonders viele positive Rückmeldungen von den Angehörigen der Inhaftierten in Moabit erhalten, mit denen die Organisator*innen vor der Silvester-Demonstration in Kontakt getreten sind. Diese haben auch die zahlreichen Liederwünsche der Gefangenen weitergetragen, sagt Winter. Außerdem seien die teils vor Ort vorgetragenen, teils als Audiodateien abgespielten Redebeiträge sehr vielfältig gewesen und hätten auch Solidarität mit in anderen Knästen Festsitzenden ausgedrückt, etwa mit Ex-RAF-Mitglied Daniela Klette oder mit eine*r Aktivist*in im Frauengefängnis in Lichtenberg. »Klar ist es schade, dass wir zum Beispiel nicht auch in Lichtenberg sein konnten. Aber so ist die Demonstration auch für Gefangene in anderen Gefängnissen und schafft eine Verbindung zwischen den Kämpfen«, sagt Winter.
»Es ist wichtiger denn je, auf das fehlerhafte Justiz- und Knastsystem aufmerksam zu machen«, sagt Demonstrationsteilnehmerin Jasmine Laking zu »nd«. Nicht nur werde demokratischer Protest zunehmend kriminalisiert, sondern auch Armut, sagt sie. Erst vor kurzem habe außerdem das Berliner Projekt Justice Collective Erkenntnisse aus zahlreichen Verfahrensbeobachtungen veröffentlicht, die vor allem auf rassistische Strukturen der Justiz schließen lassen, so Laking. »Wir müssen auf all diese Missstände aufmerksam machen und solidarisch sein.«
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