Kompliment an kreative Kriminelle

Henry Keazor hat eine spannende Geschichte der Kunstfälschung verfasst

Nein, mit Bonnie und Clyde, dem verwegenen Gangster-Duo während der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er/Anfang der 1930er Jahre in den USA, kann man sie nicht vergleichen. Und doch haben auch Wolfgang und Helene Beltracchi, die 2011 vom Kölner Landgericht zu vier und sechs Jahren Haft wegen dreister Kunstfälschungen verurteilt worden sind, international Schlagzeilen gemacht. Ihre Bilder wurden nicht nur in Deutschland, sondern auch in London und Paris zu horrenden Preisen angeboten. Unter ihren Opfern waren nicht wenige Prominente wie etwa der US-Schauspieler und Komiker Steve Martin.


Henry Keazor: Täuschend echt! Eine Geschichte der Kunstfälschung.
Theiss. 256 S., geb., 24,95 €.


Klar, dass Henry Keazor den Beltracchis, die eine Schadenssumme von mindestens 15 Millionen Euro auf dem internationalen Kunstmarkt hinterließen, ein eigenes Kapitel in seinem Buch widmet, das abschließende, überschrieben mit der Frage: »Das Ende der Kunstfälschung?« Dies anzunehmen, wäre naiv. Keazor weiß, dass seit Anbeginn künstlerischer Betätigung des Menschen auch fleißig kopiert wurde. Und dagegen ist ja auch nichts einzuwenden. Viele berühmte Maler lernten ihr Handwerk durchs Kopieren ihrer Lehrer. Problematisch wird es, wenn die Kopie nicht als solche ausgegeben wird und unter dem Namen berühmter Künstler Bilder angeboten werden, die jene nicht erschaffen haben. Wolfgang Beltracchi begnügte sich nicht damit, Max Pechstein und Max Ernst zu kopieren, sondern »erfand« neue Bilder in deren Stil.

Keazor kommt nicht umhin, jenem trotz dessen krimineller Ader ein Kompliment zu machen: W.B. sei sehr kreativ gewesen und habe raffinierte, fantasievolle Herkunftsgeschichten ersonnen. Man wundert sich trotzdem, dass Galeristen und Experten sich von ihm und seiner Frau so lange an der Nase herumführen ließen. Das Gauner-Paar rechtfertigte sich damit, sie hätten »vor allem gefälscht, um den Kunstmarkt bloßzustellen«; sie wollten zeigen, wie geldgierig, vom Profit geblendet und entsprechend fahrlässig Händler seien. Bloßstellung der »Experten« war auch das erklärte Ziel des englischen Malers und Restaurators Tom Keating, der über 2000 Gemälde von über 100 verschiedenen Künstlern gefälscht haben soll, wie Keazor schreibt.

Der Heidelberger Professor hat ein spannendes und unterhaltsames Buch geschrieben, das ernsthafte Prävention anmahnt.

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