Vor-Bilder in später Nach-Sicht

Erinnerungen an die Künstlergruppe »Clara Mosch« im Museum Dieselkraftwerk Cottbus

  • Harald Kretzschmar
  • Lesedauer: 6 Min.
»Zwischen Repression und Selbstbestimmung«, so der Untertitel der Ausstellung über die 1977 in Karl-Marx-Stadt gegründete Gruppe. Aber helfen diese Pole wirklich weiter bei der Beurteilung »wahrer Kunst« aus der DDR?

Was sehen wir? - Eine Fülle grafischer Meisterwerke. Geschaffen in heute seltsam einzigartig anmutender geistiger Aufbruchsituation. Philosophische Nachdenkkunst mit eruptiven Ausbrüchen wütender Emotion. Einen Dunkelraum mit den zweigesichtig fein durchscheinenden Sprachblättern des Carlfriedrich Claus im Mittelpunkt. Das zeichenhaft Erzählende, fast unsagbar Revolution ins Bild Setzende umrunden wir. Rundum die filigran gehäkelten Zeichenspiele des Thomas Ranft. Vignettiv das exakte Quadrat umzaubernde Lineamente.

Es entsteht eine wunderbare Aura. Wie lang hält sie? - Nur wenige Meter. Als Zwischenspiel sehen wir den über Video kommenden filmischen Aufklärungsstreifen. Ernüchternd groteskes Verwirrspiel. Der unheimlich geheime Dienst hat Regie geführt. Schmiss den Künstlern Knüppel zwischen die Beine. Hilflos inszeniert. Der Versuch blieb nachweisbar vergeblich. Der Meisterfotograf als Spitzel war der beste Freund. Die Künstlergruppe machte ihren Weg. Der schale Geschmack bleibt: Kunstgeschichte zur Kriminalstory krude hochgestylt?

Wir treten ins Helle. Groß und weit der Raum. Klein und zart an den Wänden die Kunst. Die Fortsetzung ergeben die radierten Flachporträts der Künstler-Rundköpfe von der Hand Thomas Ranfts. Er als Radiermeister bringt hier Gregor Torsten Schade ins Spiel. Rundum dessen grafischen Aufbrüche ins Weiträumige. Dynamische Exkursionen in eine vom befreundeten Meister der Fotografie Ralf Rainer Wasse erkundete Welt des industriellen Produzierens in der Harlaß-Gießerei im Umfeld der Stadt. Das Ferien-Extrem: Ahrenshoop. Freie spontane Tuschzeichnungen um eine klar gebaute Großradierung Thomas Ranfts. Die Raumsituation, links das Meer, rechts der Bodden, unverkennbar der Standort Wustrow. Surreale Details verfremden das Örtlich-Konkrete zum Kunsterlebnis.

Eine Etage höher derselbe Raum: Er gehört vor allem Dagmar Ranft-Schinke und Michael Morgner. Das fraulich beschwingte Wesen der Künstlerin in zwei zauberhaften Aquarellen, »Garten« und »Landschaft« umreißend. Zwei der frühen Inka-Reflexionen, die sie noch lange beschäftigen. Ihre denkbar zarten Radierspiele kontrastieren zum vehement energischen Jahrhundertschritt des Tragikers Morgner. Der Zyklus »Golgatha« (Aquatintaradierungen mit Prägung) thematisiert das Aufbegehren eines Geschundenen. Ganz persönliches Trauern wird ins gesellschaftlich Relevante transponiert. G.T. Schade nimmt dasselbe Thema im Farblitho 1989 auf. Flankiert von den zwei Kohlezeichnungen »Der Schrei« wird es vollends eine künstlerische Botschaft zur Gesellschaftskrise.

Was sollten wir wissen? - 1977 wagte es im damals Karl-Marx-Stadt genannten Chemnitz diese Künstlervereinigung neuer Art, eine eigene »Produzentengalerie« zu betreiben. Beides »Clara Mosch« benannt. Das sollte bald von sich reden machen. Mitte der 70er Jahre: Die Stadt modern innovativ ausgestattet mit neugebauter Stadthalle, geschmückt mit dem abstrakten Wandgemälde von Horst Zickelbein. Unweit davon die »Galerie Oben«, bisher unübliche Kunst zeigend. Das städtische Theater mit jugendlichem Ensemble und erregenden Zeitstücken. Da kommen vier junge, vor allem den grafischen Künsten zugeneigte Absolventen der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst, ihrer Heimatstadt den nächsten Kick zu liefern.

Man muss sich das vorstellen: Introvertiert auf sich bezogen, sucht man eine so gar nicht vorgesehene Öffentlichkeit. Ein Moment, kreative Energie freizusetzen. Als wichtigen Anreger stöberten sie den wie ein Einsiedlermönch im benachbarten Annaberg-Buchholz skripturale Gebilde zeichnenden, weit über ein Jahrzehnt älteren Carlfriedrich Claus auf. Nun waren es Fünf: CLA stand für Claus, RA für Thomas Ranft, MO für Michael Morgner und SCH für Gregor Torsten Schade. Dagmar Ranft-Schinke konnte sich im RA wie im SCH wiederfinden. CLARAMOSCH war geboren.

Heiter mutet diese Wortschöpfung an. Munter improvisierte man bislang verketzerte Aktionen und Happenings als Pleinairs. Doch es war schon sehr ernsthaft, was die Fünf künstlerisch betrieben. Weit über die fünf Jahre hinweg, die das Gebilde »Clara Mosch« von sich reden machen durfte, entstand in intensiver gegenseitiger Anregung eine diffizil sensible grafische Kunst von höchstem Niveau. Private Initiative setzte etwas in Bewegung, woraus ein unaufhaltsamer Trend wurde. Anschließend durchaus kenntnisreich und flächendeckend über den Staatlichen Kunsthandel verbreitet, erreichte diese ganz und gar neue, unangepasste Kunst ein Publikum, von dem man heute nur noch träumen kann.

So legendär diese in jener Situation geschaffenen, von zahlreichen kleinen Sammlern begierig aufgenommenen Werke waren - so rettungslos vergessen sind sie heute. Die einmal so vital gewesene Kunstszene in Chemnitz - wer kennt sie heute? Die Staatlichen Kunstsammlungen der Stadt sind seit Jahren extrem auf die Hereinnahme von Kunst von »Weltgeltung« fixiert. Dabei von einer Sensation zur nächsten hoch gelobt, haben sie erst langsam wieder den Blick aufs unmittelbar vor ihrer Haustür Entstandene gefunden. 2011 war Morgner, 2013 Claus und 2015 Ranft jeweils mit dem kompletten Lebenswerk ausgestellt. Aber auch Ranft-Schinke und der inzwischen zum Nachnamen Kozik konvertierte Schade hatten sich ja seit den 80er Jahren, allen Vorbehalten zum Trotz, landesweit durchgesetzt.

Als die Einheit kam, gab es lediglich neue Etiketten. Die Fünf wurden endgültig in Frontlinie gegen die vermeintliche »Staatskunst« gebracht. Dagmar Ranft-Schinke durfte bei einem Empfang neben Georg Baselitz Platz nehmen, der gerade summa summarum alle Ostkünstler als »Arschlöcher« bezeichnet hatte. Das Niveau war markiert. Schlagfertig blieb sie ihm keine Antwort schuldig. Sie hatte einmal »Clara Mosch« ganz zu Recht ein »Energiebündel der Phantasie« genannt. »Das erschütterte zeitweise die kollektive Grundfeste Sozialistischer Realismus«, hatte sie als ironische Metapher hinzu gesetzt.

Muss man das todernst nehmen? Sie weiß wie ich, wie brüchig diese »Grundfeste« bereits über zwei Jahrzehnte einer denkbar vielgestaltig gewordenen Kunstszene geworden war. Wie wir Künstlerinnen und Künstler mit herrschenden Dogmen spielten, und querbeet Ausflüge in die Abstraktion und ins Surreale machten. Wie jenseits starrer Regeln auch über »Clara Mosch« hinaus vielerorts heute noch bewahrenswerte Kunstleistungen zu verzeichnen waren. Wie lebensfremd es anmuten muss, nach so langer Zeit alle damalige Kunst nur »Zwischen Repression und Selbstbestimmung« einordnen zu wollen.

So heißt diese Ausstellung nun im Untertitel. »Repression« muss allbeherrschend gewesen sein. Das ist die neue Grundfeste. Fundamentaler Lehrsatz, von keinem Kunstrebellen bislang erschüttert. Da muss eben alles das »Diktat der Diktatur« bestimmt haben. Basta. Keine Widerrede. Die oft schon bewiesene aufgeklärte Position des Museums Dieselkraftwerk entspricht dem glücklicherweise gar nicht. Ich will der in diesem Fall obwaltenden Kuratorin Jeanette Brabenetz vom Museum Albstadt in Schwaben ja nicht zu nahe treten - ich gebe nur eines zu bedenken: Kann die in Mode gekommene untersuchungsrichterliche Attitüde beim Aufspüren böser Feinde der wahren Kunst dieser gerecht werden? Es geht doch wohl um Gerechtigkeit. Von Kunst gar nicht erst zu reden.

CLARA MOSCH 1977 - 1982. Kunst in der DDR zwischen Repression und Selbstbestimmung. Ausstellung im dkw. Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus. Di-So 10-18 Uhr, bis 3. Juli.

Unser Autor, der Zeichner und Publizist Harald Kretzschmar, feiert an diesem Montag seinen 85. Geburtstag.

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