Glück in Katastrophen
Der Literatur-Nobelpreisträger von 1997 Dario Fo ist gestorben
Der Clown. Das ist der arme Schlucker, der weite leere Hosentaschen hat. Denn in diesen Taschen müssen viele Tragödien Platz finden. Und zu große Schuhe sind ihm der Garant für die einzig menschliche Fortbewegungsart: das Stolpern. In Italien nennt man das: tanzen, und tanzen können dort auch die Gesichter. Wenn sie zum Beispiel lachen. Das Lachen von Dario Fo war berühmt. Mundwinkel-Züge, die fuhren ihm gleichsam um den gesamten Kopf herum. Tanzen heißt: aus der Rolle fallen in dieser zu großen Arena Leben – und den Leuten vormachen, wie man eine Verlassenheit in den Stolz des Außenseiters verwandelt.
Vormachen? Ja, im Theater vormachen, wie man sich draußen endlich aufmacht, um sich nicht mehr so viel vormachen zu lassen. Das beschwor Fo mit unnachahmlicher Freundlichkeit, hinter der aber gallige Bloßstellungsenergie steckte. Haltung, die aus geschickt gesetzten Hinterhalten der Harmlosigkeit schnellte. Und die – gegen Papst und Bonzen – eine Schärfe erreichte, die den Autor, Regisseur, Schauspieler zur Reizgestalt erhob: Die Leute jubelten, die Polizei verhaftete, und das staatliche Fernsehen boykottierte den Künstler fast fünfzehn Jahre. Sein Tourneetheater aber zog weiter und weiter. In einen Ruhm, der 1997 den Nobelpreis für Literatur brachte.
Eine künstlerische Existenz nach dem Gesetz des Bruders Beckett: bis zum Äußersten gehen, dann wird Lachen entstehen. Über Gräbern tanzen. Zwischen Abgrund-Rand und Abgrund-Rand sitzt ein gut versteckter (gar kommunistischer?) Gott, der das Bittere in die Späße rettet. Natürlich eine Illusion. Aber auch Illumination: Erleuchtung. »Der Clown«, sagte Fo, »will glücklich sein und überlebt deshalb alle Katastrophen«. Der Clown ist ein Splitter, abgesplittert vom Kosmos, der wieder zurück will, kurz anprallt und dann abgestoßen wird, wo er sich auffängt im Salto mortale, wunderlicher Sprung um die eigene Achse. Aber nie genügte Fo die eigene Achse. Schwierig in schwierigen Zeiten, den Spaß nicht sterben zu lassen – das kostete so einen wie Fo das ganze Leben, diese kurze Stichflamme. Mit der Zeit, die sich so horrend abklärte, ist der Witz des Multitalents dann auch etwas vereinsamt. Traurig verdutzt wie Tatis Monsieur Hulot blickte er mitunter, den man einen Altmeister nannte, umher. Warum heißt einer Altmeister? Gelingt ihm meisterlich das Altern? Also das Loslassen? Dario Fo doch nicht! Er versuchte sich vor einigen Jahren sogar noch als Bürgermeister von Mailand. Er scheiterte. Vielleicht rettete ihn das davor, als Witz zu enden.
Dario Fo – viele seiner Stücke entstanden in Partnerschaft mit seiner Frau Franca Rame – hat das Intellektuelle auf einmalige Weise mit dem Plebejischen verbunden, die Politikkritik mit dem Purzelbaum. Er bezeichnete sein satirisches Theater, diese Volkstheater-Erfolgsgeschichte der sechziger und siebziger Jahre (»Bezahlt wird nicht«, »Offene Zweierbeziehung«, »Zufälliger Tod eines Anarchisten«) einmal als »Arche«. Noah war sechstausend Jahre alt, als er dies Rettungsgefährt bestieg. Dario Fo wurde im März dieses Jahres neunzig, und Filmregisseur Roberto Benigni sagte: »Neunzig? Nein, Dario kommt aus jenen frühen, frühen Urzeiten, die den Grund dafür schufen, irgendwann später im Mittelalter den Arlecchino und den Brighella zu schaffen.« Noah auf dem Wasser, um ihn die Sintflut; Fo auf dem kapitalistischen, immer faschistisch behauchten Trocknen seines Heimatlandes Italien, nirgends mehr eine Sinnflut. In seinen Wortmeldungen deshalb bis zuletzt: keine Verwässerung. »Wir leben in Klassenkampfzeiten, also kämpfe ich!«
Nun ist Dario Fo, dieser so herzensgütige wie giftsprühende Kasper, dieser so zappelzähe Kämpfer, dieser so tolldreiste Kampfkasper, in Mailand gestorben.
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