Vor allem Friseurinnen werfen hin
Der Lehrstellenmarkt ist kompliziert - eine Studie beleuchtet die Lage in Sachsen-Anhalt
Maria Kolbe lernt ihren Traumberuf. Die 23-Jährige künftige Friseurin ist im Salon »Liebeshaar« in Weißenfels (Sachsen-Anhalt) im zweiten Lehrjahr: »Mir gefällt das Modische und Kreative an dem Beruf.« Abgebrochen hat die Mutter einer kleinen Tochter vorher eine Ausbildung zur Kinderpflegerin, »weil das nichts für mich war«. Auch in ihrer neuen Ausbildung hat sie den Lehrbetrieb gewechselt, war vorher in einem Salon, wo ihr das Betriebsklima nicht gefiel. Sie gilt damit als Abbrecherin, obwohl sie die Ausbildung eigentlich fortsetzt.
Zwei Wochen Praxis und eine Woche Schule wechseln sich ab. In Maria Kolbes Lehrklasse haben schon etliche Mädchen den Salon gewechselt oder ganz aufgehört. Gründe sind häufig wie bei Maria schlechtes Arbeitsklima im Salon, das geringe Lehrlingsentgelt von 160 Euro im ersten Lehrjahr. Oder eine Allergie gegen die Chemikalien.
In einer Studie des Hallenser Instituts für Arbeitsmarkt und Berufsforschung, einer Einrichtung der Bundesagentur für Arbeit, zur Lehrstellensituation in Sachsen-Anhalt im Jahre 2014 kam heraus, dass die Auflösungsquote der Ausbildungsverträge bei den Friseuren am höchsten ist. Sie liegt bei 67,9 Prozent, der Durchschnitt bei allen Lehrlingen liegt bei etwa 33 Prozent. In Sachsen-Anhalt wurden 2014 insgesamt 10 695 Ausbildungsverträge abgeschlossen.
Stefan Theuer, verantwortlich für die Studie: »Es gibt etwa 350 Ausbildungsberufe in Deutschland, insgesamt geht die Zahl der neu abgeschlossenen Verträge aufgrund der geburtenschwachen Jahrgänge zurück.« Das sei aber nicht unbedingt schlecht, so der Wissenschaftler weiter, da es früher oft sehr viele Bewerber für eine Stelle gab.
Die Kehrseite der Medaille spürt jetzt Heidrun Grille, die Weißenfelser Friseurmeisterin, bei der Maria Kolbe ihre Lehre absolviert: »Der Beruf ist anspruchsvoll. Die Mädchen müssen gute Noten in Chemie haben. Auch der Umgang mit den Kunden will gelernt sein.« Es bewerben sich fast ausschließlich Hauptschülerinnen, oft mit schlechten Noten. Insgesamt sei das Niveau, so Heidrun Grille, in den letzten Jahren deutlich gesunken. Oft könne sie gar keine Bewerberin nehmen. Junge Frauen von Anfang 20 kämen, so ihre Erfahrung, oft besser zurecht als die 16-Jährigen, die Einstellung zum Beruf sei besser, der Wille etwas zu leisten. Vielen Jüngeren fällt der Übergang von der Schule zur Arbeit extrem schwer.
Der Lehrstellenmarkt ist kompliziert. Viele Stellen bleiben unbesetzt, andererseits finden mache junge Leute keinen Ausbildungsplatz. Manchmal ist die Berufsschule zu weit weg, oder die gewünschte Ausbildung wird in der Nähe nicht angeboten. Viele Jugendliche wollen im Umkreis bleiben, nicht im Internat leben. Arbeitsmarktforscher Theuer: »Grund für die relativ hohe Auflösungsquote in vielen Berufen sind zu geringe Kenntnisse der Bewerber, was sie als Koch, Metallbauer oder Hotelauszubildende erwartet.« Auch gilt: Je niedriger der Schulabschluss, desto höher die Lösungsquote.
Bei den vorzeitig beendeten Verträgen fällt jede dritte Auflösung in die Probezeit. Manchmal ohne Verschulden der Azubis, zum Beispiel wenn der Betrieb schließt. Häufigster Grund ist aber ein schlechtes Betriebsklima, gefolgt vom Streit mit dem Ausbilder oder der Ausbilderin. Dann kommen gesundheitliche Gründe und falsche Vorstellungen vom Beruf, so das Ergebnis der Studie, für die zahlreiche Daten ausgewertet wurden.
Generell liegt die Auflösungsquote im Handwerk mit etwa 46,5 Prozent am höchsten. Auch in der Handwerkskammer Halle ist das Problem bekannt. Jens Schumann, Fachbereichsleiter Handwerkspolitik: »Handwerksbetriebe sind oft klein. Wenn sich der Lehrling mit dem Ausbilder nicht versteht, bleibt manchmal - anders als in größeren Firmen - nur der Wechsel zu einem anderen Betrieb.« Und dieser Wechsel gelte in der Statistik als Abbruch. Schumann plädiert für Berufsberatung und Praktika, um die Abbrecherquote zu senken.
Sehr niedrige Auflösungsquoten haben in Sachsen-Anhalt übrigens die Ausbildungsberufe Verwaltungsfachangestellte (1,1 Prozent) und Chemikant, also Chemieverfahrenstechniker (acht Prozent).
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