Die Wahl zwischen Freihandel und Handelsdiskriminierung

Das Wirtschaftsabkommen Ecuadors mit der Europäischen Union zeigt, wie wenig Spielraum Länder des Globalen Südens haben

Theoretisch sind sich Helmut Scholz und Alberto Acosta einig: Sowohl der LINKE-Europaabgeordnete als auch der ecuadorianische Wirtschaftswissenschaftler halten Freihandelsabkommen für ein Machtinstrument der wirtschaftlichen Schwergewichte à la EU und USA, mit dem die Länder des Globalen Südens in ihrer Rolle als Rohstofflieferant festgeschrieben werden sollen.

Praktisch sind sich der nach Ausflügen in die Politik in die Wissenschaft zurückgekehrte Professor Acosta und der Handelspolitiker Scholz nicht einig: Während Acosta das seit Januar 2017 vorläufig in Kraft getretene Freihandelsabkommen zwischen der mächtigen EU und dem ökonomischen Zwerg Ecuador in Bausch und Bogen verdammt, weil es sich zu Lasten der subalternen Schichten Ecuadors auswirken würde, hält Scholz das Freihandelsabkommen für das realpolitisch geringere Übel und sieht sich da auf einer Linie mit der ecuadorianischen Linksregierung.

Das Argument von Scholz und Quito: Durch den fristgemäßen Wegfall von Ecuadors Präferenzen für den Europäischen Markt zum 1. Januar 2017 wäre das Land ohne Freihandelsabkommen gegenüber Handelskonkurrenten wie Kolumbien und Peru deutlich ins Hintertreffen geraten. Peru und Kolumbien haben 2013 - unter neoliberalen Rechtsregierungen - ein Freihandelsabkommen mit der EU unterzeichnet. Diesem Freihandelsabkommen ist Ecuador beigetreten, weil es seine Handelsfelle davonschwimmen sah und wie Scholz und Ecuadors Regierung betonen, nach Aushandlung von der ein oder anderen Art von Sonderbehandlung.

Zum Beispiel wird dem ecuadorianischen Milchsektor eine Übergangsfrist von 17 Jahren bis zur vollständigen Liberalisierung eingeräumt, sprich bis er in Gänze der europäischen Konkurrenz ausgesetzt ist. Dieses konkrete Beispiel nannte Scholz bei der von der Linkspartei im Karl-Liebknecht-Haus am 24. April veranstalteten Debatte »Handelszusammenarbeit, Freihandel und die aktuelle Lage in Ecuador«.

Dass dieses Beispiel hohe Relevanz hat, zeigt das Beispiel Kolumbien: Dort gingen seit dem Inkrafttreten des Freihandelsabkommens mit der EU schon viele Milchbauern wegen der Einfuhr von EU-Milchpulver Pleite.

Ob 17 Jahre für Ecuadors Milchsektor reichen, um wettbewerbsfähig zu werden, ist fraglich und was für den Milchsektor gilt, gilt auch für den Rest des kleinbäuerlichen Sektors. Das zeigen Freihandelsabkommen wie das Nordamerikanische Freihandelsabkommen NAFTA. Im Zeitraum von 1994 bis 2014 gingen nach einer Analyse des in Washington ansässigen Center for Economic and Policy Research (CEPR) knapp 5 Millionen feste Arbeitsplätze in der kleinbäuerlichen und familiären Landwirtschaft Mexikos verloren, mexikanische Statistiken untermauern das. Das Freihandelsabkommen EU-Mexiko habe 1,6 Millionen Arbeitsplätze mexikanischer Kleinbauern gekostet, sagte Acosta.

Scholz stellt diese Risiken nicht infrage. »Es gibt nur interessegeleiteten Handel.« Freihandelsabkommen seien leider keine Fairhandels-Abkommen. Scholz hat als Berichterstatter des Europaparlaments für die Handelszusammenarbeit mit Ecuador in Abstimmung mit der Regierung in Quito dem Freihandelsabkommen im vergangenen Dezember zugestimmt, samt weiteren sechs Parlamentariern der Linksfraktion bei 15 Enthaltungen und 24 Gegenstimmen. Das zeigt wie kontrovers das Thema Freihandelsabkommen gesehen wird, zumal niemand sie mit dem im Wahlprogramm verankerten gerechten Welthandel und einer neuen Weltwirtschaftsordnung in Einklang sieht.

Für Acosta, der einst der Regierung von Rafael Correa angehörte, inzwischen aber zu seinen profiliertesten Kritikern gehört, ist eine Zustimmung zu Freihandelsabkommen grundsätzlich verfehlt und auch in Sachen Ecuador: »Dadurch werden die großen Handelsunternehmen von Bananen, Blumen und Thunfisch sowie die Exporteure anderer natürlicher Ressourcen die größten Gewinner sein, also genau die Gruppen, die schon immer vom exportorientierten Akkumulationsmodus profitierten.« Ihm wichtige linke Fragen wurden ausgespart: die Rechte der hunderttausenden Ecuadorianer in Europa, die Beschäftigungssituation insbesondere von Bauern und Arbeitern zum Beispiel in Bananen-Plantagen. Theoretisch ist klar: Nur asymmetrische Handelsabkommen zu Gunsten des Südens eröffnen dort eine Gelegenheit zur nachholenden Entwicklung. Wie dieser Ansatz in eine Praxis umzusetzen ist, bleibt offen.

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