Verwaltungsgericht kippt Verbot des G20-Protestcamps
Gipfelgegner reichen Eilanträge gegen die polizeiliche Allgemeinverfügung ein / LINKE: »Wer den Gipfel nach Hamburg holt, lädt den Protest mit ein.«
Hamburg. Erneute juristische Schlappe für die Hansestadt Hamburg: Wie das zuständige Verwaltungsgericht am Mittwoch bekanntgab, ist das Verbot des von G20-Kritikern geplanten Protestcamps im Stadtpark auf Grundlage einer polizeilichen Allgemeinverfügung unzulässig.
Damit bestätigte das Gericht seine eigene Entscheidung vom 7. Juni. Vor zwei Wochen war das zuständige Bezirksamt Hamburg-Nord schon einmal mit dem Versuch gescheitert, das Protestcamp im Stadtpark zu verhindern. Zur Begründung hatte die Behörde unter anderem angeführt, die zu erwartenden bis zu 10.000 Campteilnehmer könnten die Wiese zerstören, der Park sei für eine solche Veranstaltung nicht geeignet.
Doch das Gericht erklärte, die geplante Zeltstadt sei rechtlich gesehen als politische Versammlung zu betrachten. Folglich müssten die Behörden auch versammlungsrechtliche Gründe angeben, um das Camp zu untersagen.
Solch eine Maßnahme gab es ironischerweise bereits: Mit dem Erlass einer Allgemeinverfügung am
1. Juni 2017 sprach die Stadt Hamburg nicht nur Demonstrationsverbot für eine Fläche von über 30 Quadratkilometern aus, sondern hatte gleich einen Hebel zur Hand, um das Protestcamp zu verbieten, da dieses schließlich nun unter das Versammlungsrecht fiel. »Wenn wir diese Camps tatsächlich nicht kriegen, dann werden wir massenhaft auf allen Grünflächen in Hamburg einfach Plätze besetzen«, kündigte Anwalt Andreas Beuth daraufhin an.
Dazu muss es (vielleicht) nicht mehr kommen: Das Verwaltungsgericht gab nun dem Widerspruch gegen das Campverbot statt. »Nach dem Versammlungsgesetz könne die Versammlungsbehörde zwar ein Versammlungsverbot in der Form einer Allgemeinverfügung erlassen«, doch für das Verbot – auch von friedlich verlaufenden Versammlungen – werde ein polizeilicher Notstand vorausgesetzt. Dafür sei es notwendig, dass wegen vorrangiger staatlicher Aufgaben und trotz des Einsatzes des Polizei der Schutz der angemeldeten und nicht angemeldeten Versammlungen nicht möglich wäre. Einen Notstand konnte die Stadt Hamburg allerdings »nicht hinreichend konkret« darlegen, so das Gericht.
Die Hamburger Polizei kündigte umgehend Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht an. »Wir halten die Untersagung des Camps und die Umsetzung der Allgemeinverfügung weiterhin für erforderlich«, erklärte Polizeipressesprecher Timo Zill zur Begründung. Die Polizei gehe »weiterhin davon aus, dass am Ende die von der Versammlungsbehörde erlassenen Einschränkungen rechtlichen Bestand haben werden«.
Zu dem Camp vom 30. Juni bis 9. Juli werden unter dem Motto »Alternativen zum Kapitalismus leben und sichtbar machen« rund 10.000 Teilnehmer erwartet. Neben rund 3.000 Wohnzelten sollen eine Bühne und Veranstaltungszelte errichtet werden.
Motiviert von der Gerichtsentscheidung fühlt sich nun auch die Organisatoren der der »NoG20-Camp AG«. Die Planer dieses weiteren G20-Camps im Hamburger Volkspark im Westen der Stadt haben nun ebenfalls angekündigt, ihr Vorhaben als politische Versammlung anzumelden. Das teilten die Organisatoren am Mittwoch mit. »Es ist ein Spiel auf Zeit: Die Behörden müssen nun nachweisen, dass der Volkspark Altona nicht als Versammlungsfläche der ‘NoG20 CampAG’ genutzt werden darf«, erklärte Thomas Deuber vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac. Die Behörde hatte das vom 1. bis 9. Juli für etwa 3000 Gipfelgegner geplante Camp auf der großen Spielwiese des Volksparks untersagt. Diesem Park komme als Gartendenkmal ein besonderer Schutzstatus zu. Zudem sei das Zelten in öffentlichen Grünanlagen verboten.
Gipfelgegner reichen Eilanträge gegen Demo-Verbot ein
Die erfolgreiche Klage gegen das Campverbot ist jedoch nicht der einzige Fall, mit dem sich die Justiz derzeit in der Hansestadt mit bezug zu G20 auseinandersetzen muss. Auch gegen das Demonstrationsverbot in Teilen Hamburgs sind am Dienstagabend drei Eilanträge beim Verwaltungsgericht eingegangen. Die Veranstalter der Proteste gegen den Gipfel wenden sich ebenfalls gegen die Allgemeinverfügung der Hamburger Polizei, soweit sie die angemeldeten Kundgebungen betreffen, wie eine Gerichtssprecherin mitteilte.
Nach der Verfügung dürfen in einem Korridor verschiedener Routen zwischen Flughafen und Innenstadt vom 7. Juli (6.00 Uhr) bis zum 8. Juli (17.00 Uhr) keine Demonstrationen stattfinden. Das gilt am 7. Juli auch von 16.00 bis 24.00 Uhr rund um die Elbphilharmonie, weil die Staats- und Regierungschefs der G20 dort ein Konzert besuchen.
»Wer den Gipfel nach Hamburg holt, lädt den Protest mit ein. Der Senat trägt die politische Verantwortung dafür, dass auch an den beiden Gipfeltagen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrgenommen werden kann«, so Christiane Schneider, LINKEN-Abgeordnete in der Hamburgischen Bürgerschaft.
Gegen die Anordnung haben die G20-Gegner Widerspruch beim Verwaltungsgericht eingelegt. Weil die Verfügung aber sofort vollziehbar ist, versuchen die Kläger im Eilverfahren – ähnlich wie im Fall des Protestcamps – einstweiligen Rechtsschutz zu bekommen. Über die Anträge werden drei verschiedene Kammern beim Verwaltungsgericht entscheiden. Einen Termin dafür gebe es noch nicht, sagte die Sprecherin.
Initiative will Grundrechte auch während des Gipfels verteidigen
»Das Treffen der mächtigsten Staatenlenker*innen soll einen Ausnahmezustand rechtfertigen, in dem die Verfassung außer Kraft gesetzt wird«, kritisiert Elke Steven vom Komitee für Grundrechte und Demokratie.
Gemeinsam mit anderen G20-Kritikern, Politikern, Aktivisten, Anwälten, Bürgerrechtler und Künstlern hat sie die Initiative »Grundrechte verteidigen« gegründet. Mit dem Aufruf wollen die Initiatoren klar machen, dass Grundrechte und Demokratie nicht für ein Prestigeprojekt geopfert werden dürfen. Dem Aufruf haben sich bereits über 40 Organisationen und über 50 Personen angeschlossen, unter ihnen das globalisierungskritische Netzwerk Attac Deutschland, die GEW Hamburg, das Grundrechtekomittee sowie die Humanistische Union.
»Es ist erschreckend, wie der autoritäre Ausnahmezustand von den Mächtigen dieser Welt zum Normalzustand erklärt wird – nicht nur von den Erdogans, Putins und Trumps dieser Welt, auch von der deutschen Bundesregierung«, so der Liedermacher Konstantin Wecker, der die Initiative unterstützt. mit Agenturen
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.