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»Ich hatte das Gefühl, ich arbeite mit Mozart!«

Die erste Biografie Emmanuel Macrons spart Politik fast vollständig aus und bietet stattdessen viel Persönliches

  • Guido Speckmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Kann Emmanuel Macron über Wasser laufen? Diese Frage einer französischen Moderatorin brachte die Begeisterung für den Shootingstar der französischen Politik auf den Punkt. Dem 39-jährigen Emmanuel Macron scheint alles zu gelingen. Zunächst die Rechtsextreme Le Pen im Duell um das französische Präsidentenamt geschlagen, dann mit seiner erst 14 Monate zuvor gegründeten parteiähnlichen Bewegung »En Marche!« eine satte Mehrheit in der Nationalversammlung errungen - und nebenbei die bisherigen Regierungsparteien, die konservativen Republikaner und die (neu)sozialdemokratischen Sozialisten zu Statisten degradiert. Da kommt unweigerlich die Frage auf, wer ist dieser Mann an der Spitze der Grande Nation eigentlich? Eine Biografie Macrons könnte darüber Aufschluss geben, aber die von Anne Fulda tut das nicht. Denn darin erfährt der Leser im Wesentlichen nur persönliche Anekdoten über den Präsidenten. Ein Kapitel widmet sich gar der Präsenz Macrons in französischen Boulevardblättern. Politik wird weitgehend ausgespart. Stattdessen wird viel Raum den Personen eingeräumt, mit denen sich Macron umgibt. Mit diesen hat die Autorin geredet, und die Aussagen über Macron gibt sie ausführlich wieder.

Prominent wird - ganz Boulevard - das Verhältnis zu Macrons wesentlich älteren Frau Brigitte, seiner ehemaligen Lehrerin, behandelt. Wir erfahren, dass der Schüler Emmanuel und Brigitte zusammen an einem Theaterstück arbeiteten. Jahre später hat Brigitte, »noch immer verzaubert von dieser außergewöhnlichen Begegnung«, einem Freund anvertraut: »Weißt du, an den Tagen, an denen wir zusammen dieses Stück schrieben, hatte ich das Gefühl, ich arbeite mit Mozart!« Immerhin merkt die Autorin an, dass Brigitte etwas naiv von ihm erzählt, um dann zu schreiben: »Für sie ist er einzigartig, anders, wie ein UFO oder ein Außerirdischer.«

Nett sind manche Anekdoten aus der Jugend. So fing der kleine Macron Eidechsen und »bewahrte ihre Schwänze in Gläsern auf, was ganz widerlich roch!«, erinnert sich seine Mutter. Überwiegend lebte aber bereits der junge Emmanuel in einer Welt der Bücher. Er schrieb sogar einen (unveröffentlichten) Abenteuerroman. In seinem Buch »Revolution« schreibt er über sein Verhältnis zu Büchern: »Der geheime, innige Unterricht durch Bücher war stärker als äußerer Schein und gab der Welt eine Tiefe, der man im Alltag kaum begegnet.« Zwei weitere Leidenschaften waren das Klavier und das Theater. Das perfekte Wunderkind aus der Provinzstadt Amiens, das sich alles merkt und alles weiß, schon früh die Anerkennung von Erwachsenen sucht (»Seniorenschmeichler«), verliert seinen Sonderstatus erst, als er nach Paris aufs Gymnasium geht. Dort sind plötzlich andere noch besser als er.

Nahezu peinlich ist das Kapitel »Förderer und ›große Brüder‹«. In diesem wird auf gefühlt jeder Seite drei Mal beschrieben, wie einfühlsam sich Macron seinen Gesprächspartnern präsentiert. Beispiel gefällig? »Zahllose Menschen, darunter viele von großem Einfluss, ... betonen sein beispielloses Einfühlungsvermögen, seine Gabe, auf andere Menschen zuzugehen und immer, wirklich immer, ein offenes Ohr zu haben.« Auch seine Verführungskünste - nicht erotischer Art, sondern die, Menschen für sich einzunehmen - werden ausführlich behandelt. Macron könne sogar einen Tisch bezirzen und verführe am laufenden Band, schreibt Fulda.

Was aber erfahren wir über die politische Prägung von Macron und seine politischen Vorstellungen? Fast nichts. Zwar wird deutlich, dass Macron dem Milieu der Sozialisten entstammt und sich der politischen Linken zugerechnet hat. Aber seine Kontakte zu Personen wie Michel Rocard, ein demokratischer und antiautoritärer Sozialist, oder Jean-Pierre Chevènement, der Euro wie EU kritisch sieht, werden lediglich knapp erwähnt. Fulda zitiert an einer Stelle Aussagen Macrons, wonach der Neoliberalismus ein linkes Konzept sei und dass junge Franzosen Lust haben müssen, Milliardäre zu werden. Erläuterungen, Problematisierungen? Fehlanzeige.

Man muss nichts vom französischen Präsidenten halten, aber eine bessere Biografie verdient selbst er.

Anne Fulda: Emmanuel Macron. Die Biographie. A. d. Frnz. von Nicola Denis, Felix Mayer, Bettina Sund, Volker Zimmermann. Aufbau, 220 S., br., 18 €.

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