Oh Volk, deine Bühne
Auf mich wirkte die Volksbühne in den frühen Achtzigern wie ein Hochbunker, den man nicht mit Erde zugeschüttet und bepflanzt hatte, weil nicht genügend Platz für den Neigungswinkel war. Das sollte also ein Theater sein. Wahrscheinlich eines, in dessen Stücken es vor russischen Namen nur so klingelte und die Handlung kaum auszumachen war.
Später ließ ich mich auf die Kultur rund um den Rosa-Luxemburg-Platz ein: Kino Babylon und so. Habe schön am Sonnabend im Pfeffer-und-Salz-Mantel nach einer Karte angestanden; für einen Antikriegsfilm, schwarz-weiß mit Untertiteln. Das klang für meine Kollegen nach einem Scheiß-Wochenende. Erst in den Neunzigern fiel ich dann auf die Volksbühne herein, wenn es hieß, da sei Shakespeare oder Dostojewski inszeniert worden. Von denen hatte ich einiges gelesen, während der Aufführungen aber wenig wiedererkannt. Auf der Bühne brutzelte und stank ein Schweinekadaver vor sich hin, ich fühlte mich ausreichend aufgeklärt und ging möglichst unaufgeregt.
Gut fand ich 2010 Jakob Heins »Johnny Chicago«, mit ihm und Kurt Krömer in den Hauptrollen. Aber das Stück war zu geradeaus erzählt worden, es fand wenig Beachtung. Es sah auf der großen Bühne zu sehr nach kleinem Fernsehspiel aus. Mir gefiel es, ich bin baustellensozialisiert. Mich freute auch, als Schlingensief in einem TV-Gespräch meinte, es müssten mehr Arbeitslose auf die Bühne, die seien authentisch, die könnten nicht richtig sprechen. Vielleicht standen deshalb über Jahre an jedem Heiligabend die Nuschelrocker aus Manchester auf der Volksbühne: Mark E. Smith mit The Fall.
Als ich 1998 in die Szene der Vorlesenden hineinrutschte und Jörg A. Dahlmeyer mit seinen Social Beatles das »Affenterror«-Fest plante, meldete ich Ansprüche für den Roten Salon an; immerhin sei ich Ureinwohner und habe nicht studiert. An dem Abend traten viele Autoren im überfüllten Salon an. Ich war früh dort, spät dran und ziemlich betrunken. Wie ich meine Versprecher unters Volk brachte, wurde als gelungene Performance eingeordnet. Einige Besucher hatten im Theater gelernt, dass in den Bierflaschen Wasser ist. Ich hatte mich an einem Ex-Kollegen orientiert, der in den Siebzigern als Kleindarsteller bei einem Stück über den Bundesliga-Skandal mitwirkte. Als »Schalke-Fan« sei er bei jeder Aufführung betrunken gewesen, in echt. Im Roten Salon war ich noch zweimal am Start, doch irgendwann gab es nur noch Beck’s. Surfpoet Michael Stein pflegte zu sagen: »Beck’s is Punkerpisse. Wenn’s kein Bier mehr gibt, Beck’s gibt’s immer. Surfpoeten trinken kein Beck’s.«
Jedenfalls war dieses Theater auch ein Thema für Leute, die eigentlich nicht ins Theater gehen. Als sich am letzten Sonnabend Frank Castorf und Co. verabschiedeten, stand ich mit vielen Menschen vor der Volksbühne im Regen. Das passte prima. Zum Auftakt des neuen Zeitalters wünsche ich mir, dass Dercon, Brönner und Renner die Liebe zu dritt zelebrieren, während die Volksbühne mit Erde zugeschüttet wird.
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