Vorwärts und nicht vergessen
Erich und Margot Honeckers Korrespondenz mit einer Lehrerin aus Hessen ist jetzt als Buch erschienen: »Liebe Eva«
Ihren Namen habe er zum ersten Mal von Margot Honecker gehört, sagt der Verleger Frank Schumann im Gespräch mit Eva Ruppert. Lesen können hätte er ihn allerdings schon, bevor er in den 2000er Jahren in Kontakt mit Frau Honecker trat. Dr. Eva Ruppert, Bad Homburg, hat unzählige Leserbriefe verfasst, die seit 1991 im »nd«, in der »jungen Welt«, aber offenbar auch in der hessischen Lokalpresse gedruckt worden sind. Aus ihren kommunistischen Überzeugungen, jeweils angewandt auf das aktuelle Weltgeschehen, macht sie darin nie einen Hehl.
Der in Schumanns Edition Ost veröffentlichte Band »Liebe Eva« hat in der Presse schon vor seinem Erscheinen für Aufsehen gesorgt - weil er verspricht, den einst mächtigsten Mann der DDR von seiner privaten Seite zu zeigen. »Wie Liebesbriefe« läsen sich jene Schreiben, die Honecker 1992 und 1993 aus der JVA Berlin-Moabit an Eva Ruppert geschrieben hat, meinte etwa der Berichterstatter der »Berliner Zeitung« und erklärte das Buch gar zum Anlass, »Honeckers Beziehungen zu den Frauen noch einmal zu betrachten«. Als Indiz für dessen Verliebtheit führt er an, dass Honecker seine Briefpartnerin zuweilen als »kleine compañera« gegrüßt hat. Nun, dann war wohl auch Kohl in Merkel verliebt, als er sie dereinst »mein Mädchen« nannte.
Tatsächlich dürfte der schwer krebskranke Honecker in jenen Jahren, als es ihm juristisch an den Kragen ging, für jede Art der solidarischen Zuwendung empfänglich gewesen sein - zumal, wenn sie nicht von den alten Genossen kam, sondern von einer mehr als zwanzig Jahre jüngeren Gymnasiallehrerin aus dem Westen. Von einer »Brief-Romanze« (»Berliner Zeitung«) kann indessen keine Rede sein. Und selbst der Untertitel des Buches, »Erich Honeckers Gefängnisbriefe«, ist mehr der Spekulation auf die Sensation geschuldet als den Tatsachen. Ganze 13 der 63 Briefe hat der vormalige Generalsekretär selbst aus der Haft an Frau Ruppert geschickt. Der große Rest sind Briefe von Margot Honecker aus Santiago de Chile. Was sie bestürzend klar vor Augen führen, ist keine romantische Affäre, sondern eine ideologische Tragödie.
Die Niederlage des real existierenden Sozialismus und das Ende der DDR blieben für die Honeckers das Werk imperialistischer Mächte und der Konterrevolution. Auch in den Briefen findet man nicht das leiseste Eingeständnis der Mitverantwortung. Dass die Repräsentanten der DDR den Rückhalt der Bevölkerungsmehrheit längst verloren hatten, scheinen die Honeckers nicht wahrgenommen zu haben. Stattdessen beschwören sie die Solidarität der Standhaften.
»Nichts war umsonst«, schreibt Honecker gleich im ersten abgedruckten Brief, der allerdings gar nicht an Eva Ruppert, sondern an die »Genossen aus der saarländischen Heimat« gerichtet ist und nicht aus Moabit verschickt wurde, sondern aus Beelitz, wo die Honeckers 1990/91 Zuflucht gefunden hatten. Die Gewissheit, dass »die Menschen langsam begreifen (werden), dass es keinen anderen Weg gibt als den, den Kapitalismus zu überwinden«, gibt Honecker zeitlebens nicht auf. Als Mittel zum Zweck bleibt ihm kein anderes denkbar als eine »zielklare Partei«. Einen »dritten Weg« gebe es nicht: »Das ist nun geschichtlich erwiesen.«
Was heute in den Geschichtsbüchern als »friedliche Revolution« verzeichnet ist und tatsächlich nicht in einen besseren Sozialismus führte, geht in Honeckers Augen zuvörderst auf die Kappe seines »Freundes« Michail Gorbatschow. Der »große Reformer« habe zunächst den Zerfall der Sowjetunion herbeigeführt, um dann »die Übergabe, man kann auch sagen ›den Verkauf‹ der DDR«, zu bewerkstelligen. So einfach ist das.
In den späteren Briefen Margot Honeckers ist der Hass auf den »Revisionismus« und »Reformismus« geradezu schneidend. »Diese verdammte Nabelschau«, heißt es da in einem Brief aus dem Oktober 1992 im Zusammenhang mit der PDS, »macht es so schwer, dass die Partei als erkennbarer Interessenvertreter handelt«. Zwei Jahre später, da hält sie es längst mit der DKP, macht sie in den Erben der SED gar jene aus, »die Kommunisten angreifen, sie als Erste angegriffen haben«. Und über »Sch.«, gemeint ist Schabowski, weiß sie 1997 mitzuteilen, er sei »einer derjenigen, die in bestimmten Situationen im Straßengraben landen«.
Eva Ruppert war niemals Mitglied einer Partei. 1933 im Saarland geboren, erlebte sie als Kind die Schrecken des Krieges. Über Umwege gelangte sie nach ihrem Latein- und Griechischstudium 1965 nach Bad Homburg, wo sie bis 1999 als Lehrerin tätig war und, wie die Briefe andeuten, ihre Schüler offenbar ungehindert auch politisch in ihrem Sinne bilden konnte. (Die Frage, wie die DDR-Volksbildungsministerin Margot Honecker auf Lehrkräfte reagierte, die den Standpunkt des »Klassenfeindes« propagierten, wird in den Briefen leider nicht erörtert.) Politisiert worden, sagt Ruppert im Gespräch mit Schumann, sei sie auf evangelischen Kirchentagen und in der Friedensbewegung. Begierig studierte sie marxistische Literatur, absolvierte ein Fernstudium an der DKP-Schule in Leverkusen und zählte Anfang der 90er schließlich zu den Gründungsmitgliedern des »Solidaritätskomitees für Erich Honecker«. Während des Westberliner Kirchentags 1977 hatte sie die DDR erstmals besucht: »Ich hatte das Gefühl: Hier ist mein Deutschland, meine Heimat - der Staat, in dem ich lebte, war nicht der meine.«
Ob sie jemals darüber nachgedacht habe, in die DDR überzusiedeln, wollte »der Freitag« von Ruppert wissen, die das verneint: »Ich hatte einen Beruf, ich hatte einen Mann und drei Kinder. Ich konnte nicht alles stehen und liegen lassen.« Frank Schumann erwähnt als Grund dafür, dass Frau Ruppert bis heute immer im ungeliebten Bad Homburg lebt, zudem das Reihenhaus.
Wie die Datierung verrät, stand Ruppert mit Erich Honecker schon im Kontakt, bevor er wieder in jenes Gefängnis musste, in das die Nazis ihn schon einmal gesperrt hatten. »Dass er dort erneut inhaftiert wurde«, so Ruppert, »war nicht nur makaber und skandalös. Es offenbarte eine gewissen Kontinuität.« Für sie steht fest, dass Honecker ein Friedensstifter war, der nichts Unrechtes zu verantworten hatte, nein: »Er und andere saßen dort stellvertretend für eine Idee.« Als Teil einer vierköpfigen Delegation, die ihn zum 80. Geburtstag in Moabit besuchte, begegnete Ruppert Honecker erstmals persönlich. Eine Handvoll weitere Gefängnisbesuche und eine Vielzahl von Briefen folgten. Er habe sie alle in einem Hefter gesammelt, versichert ihr Honecker einmal: »Also keiner Deiner Briefe ist verloren gegangen.« Ihr heutiger Verbleib ist allerdings ungeklärt.
Die einzigen beiden im Buch enthaltenen Schreiben von Rupperts Hand basieren auf Entwürfen. Den Antworten der Honeckers ist zu entnehmen, dass Ruppert ihren politischen und privaten Treueschwüren eine Vielzahl selbst angefertigter Gedichte, Zeichnungen und Leserbriefe, getrocknete Blüten und Fotos, Musikkassetten und Bücher beilegte. Nach Honeckers Tod schrieb Margot an Eva: »Du warst immer mit ihm solidarisch, besonders in den schweren Monaten der Haft. Er hat das nie vergessen.« Honecker selbst hatte seine Krankheit kaum einmal erwähnt - es sei denn als lästiges Hindernis bei seinem Vorhaben, nicht nur seine Person, sondern die Existenz der DDR zu verteidigen. Einmal schrieb er: »So ist es, liebe Eva, alles kann man mit eisernem Willen doch nicht bezwingen - den Krebs, der in mein Leben eingreift, schon gar nicht. Wenn ich ein Christ wäre, würde ich sagen: alles andere liegt bei Gott.«
Der etwas nachlässig und ohne wissenschaftlichen Anspruch edierte Band ist mit zahlreichen Fußnoten versehen, aus denen Sympathie und politische Übereinstimmung mit den Korrespondierenden spricht. Wer die Welt durch die Augen der Honeckers sieht, wird ihn als Bestätigung lesen.
Eva Ruppert (Hg.): »Liebe Eva«. Erich Honeckers Gefängnisbriefe. Edition Ost, 176 S., br., 9,99 €.
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