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Die Super-Bowlisierung der Liga
Christoph Ruf über Fanproteste zum Saisonstart und die Frage, warum Chinas U20 gegen Wormatia Worms spielen soll
Die Fankurven haben pünktlich zum Saisonstart offen gegen die Mechanismen des Profifußballs protestiert. Die Sommermonate wurden offenbar zur Vernetzung genutzt. Von Bochum bis Ulm - am Wochenende gab es für die Fußball-Offiziellen wenig Schmeichelhaftes auf den Transparenten in den Kurven zu lesen. Primär ging es um die Kommerzialisierung, in der vierten Liga auch um den Plan, die chinesische U 20-Mannschaft außer Konkurrenz mitspielen zu lassen.
Man kann das alles auch tatsächlich als Versuch sehen zu kaschieren, dass der eigentliche Sinn eines über 34 Spiele gestreckten Wettbewerbs nicht mehr gegeben ist. Wenn man vorher schon weiß, wer gewinnt, sinkt die allgemeine Anteilnahme. Immer nur Manuel Neuer ist auf Dauer so öde wie immer nur Angela Merkel. Genau deshalb wird im Fußball auch immer hektischer künstliche Spannung erzeugt. Durch Relegationsspiele, deren Alles-oder-nichts-Charakter ganz gut verdeckt, dass es außer bei Platz 16 der Tabelle um allzu viele Plätze im Klassement keinen wirklichen Wettkampf gibt. Vor allem aber durch künstliche Events. Wenn der aufgeblähte Ex-Fußballer Tim Wiese meint, einem befreundeten Funktionär helfen zu müssen, wird ein Kreisligakick zum Mega-Ereignis stilisiert. Wenn Pokalfinale ist, bewegt Helene Fischer in der Halbzeit atemlos ihre Lippen zum Playback. Dass sich damals sowohl die Frankfurter als auch die Dortmunder Fankurve die Seele aus dem Leib pfiff, hat beim DFB damals Erstaunen ausgelöst.
Und auch an diesem Wochenende dürfte sich bei der DFL mancher gefragt haben, warum sowohl Bochumer als auch St. Paulianer Fans so ohrenbetäubend laut gepfiffen haben, als beim Eröffnungsspiel der 2. Liga die Auftaktshow zelebriert wurde. So schlimm war die doch gar nicht, oder?
Doch. Denn man fragt sich unweigerlich, warum es beim ersten Zweitligaspiel seit Wochen, warum es bei einem DFB-Pokalfinale überhaupt irgendetwas braucht, was vom eigentlichen Ereignis ablenkt. Offensichtlich trauen die Verantwortlichen ihren eigenen Wettbewerben nicht mehr zu, genug Adrenalin zu produzieren, damit sich die Leute nicht gelangweilt abwenden. Dass man aus dieser Fehleinschätzung in Frankfurt die Konsequenz zieht, immer mehr auf eine Super-Bowlisierung der Liga zu setzen, lässt zwei Interpretationen zu. Erstens: Die Verbände haben jeden Kontakt zur Basis verloren. Das mag auf einige Funktionäre zutreffen, geht aber am Kern der Sache vorbei. Denn um die Bochumer Fans, die ihren Protest gekonnt zusammenfassten (»Wir wollen keine Show, scheißen aufs Event, wollen einfach Fußball, wie man ihn von klein auf kennt«) geht es letztlich gar nicht. Es geht um den heimlichen Herrscher im modernen Fußball: den Menschen vor dem TV-Bildschirm, dessen in Quotenform gegossene Anteilnahme am Fußballzirkus letztlich über die Verteilung der Gelder entscheidet. Und damit über die Meistertitel. Weil ein Verein mit dem Etat von Getafe eben genau so wenig Chancen gegen Real Madrid hat wie Augsburg gegen die Bayern.
Und dennoch kann man sich nur immer wieder wundern, auf welche Ideen der DFB kommt. Da lässt man zu, dass die Regionalliga - wofür der DFB nichts kann, wohl aber die hochgradig egoistischen Erstligisten - am langen Arm verhungert. Und will in die Südwest-Staffel die chinesische U 20 eingliedern. Dass es dabei völlig egal ist, ob die nun in der Tabelle gelistet wird oder nur Freundschaftsspiele austrägt, scheint man im Verband nicht zu verstehen. Vielleicht muss man also noch mal erklären, warum am Wochenende so gut wie alle Fanszenen in der Regionalliga Südwest protestierten. Weil auch der China-Deal wieder nur einen Hintergedanken hat: Die internationalen Vermarktungsmöglichkeiten des deutschen Top-Fußballs zu erhöhen. Weil die - so die Hoffnung - millionenfach in China übertragenen Kicks von Waldhof Mannheim oder Wormatia Worms die Popularität des deutschen Fußballs erhöhen. Profitieren würden davon aber natürlich nicht die Regionalligisten, sondern die Trikotabsätze von Dortmund und Co.
Im Übrigen zeigt der Deal auch die Verlogenheit der westlichen Menschenrechtsrhetorik. Auf despotische Regime wird nur dann eingeprügelt, wenn man sich keine Milliardengeschäfte mit ihnen erhofft. Wo hat man als Oppositioneller wohl bessere Chancen, nicht im Knast zu landen oder gar getötet zu werden? In Moskau oder in Istanbul? In Peking sind die Chancen jedenfalls eher mau.
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