Klassizität und Selbstbefragung

Berlins Festival »Tanz im August« - das erste Drittel

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.

Rund ein Drittel der 24 Gastpiele aus 21 Ländern an 19 Tagen an verschiedenen Spielorten hat das Festival »Tanz im August« hinter sich und bisher keinen »Rohrkrepierer« serviert, obwohl es neben gelungenen ziemlich fragwürdige Produktionen zu sehen gab.

Spitze war erneut die Begegnung mit einem häufigen Gast dieser internationalen Tanzschau. Der gebürtige Schotte Michael Clark, Absolvent der Royal Ballet School London, dann Abtrünniger aus dem Ballettolymp, zählt zu den Avantgardisten des zeitgenössischen Tanzes. Mit Punk-Produktionen erwarb er sich schnell den Ruf eines Rebellen, der seine klassische Schulung mit frischen Inhalten verbindet und gleich gesinnte Künstler von Ausstattern bis zu Komponisten um sich schart. Clarks so hochvirtuose wie provokante Auftritte beim August-Tanz gehören zu den noch immer nachwirkenden Erlebnissen.

»to a simple, rock ’n ’roll ... song«, das aktuelle Programm der 1984 gegründeten Clark-Company, lässt sich in seinen drei Teilen als künstlerisches Resümee lesen. Zugleich zeigt es Stationen seiner Entwicklung vom Klassiker zum zeitgenössischen Choreografen, der für diverse Einflüsse offen ist. Den Anfang bildete eine Hommage an Erik Satie, anlässlich seines 150. Geburtstags. Als der Franzose 1886 seine »Ogives« veröffentlichte, sollen ihn die Spitzbögen der Fenster von Notre Dame zu diesen vier im Schreitcharakter gehaltenen Kompositionen für Klavier angeregt haben.

Clark lässt seine sieben Tänzer erst auf die Bläue des Hintergrunds blicken, ehe sie sich dem Zuschauer zuwenden und Einbeinposen, Ausfälle und Körperschrägen einnehmen. Mit purer Raumgeometrie reagieren sie auf die Klangtropfen des Pianos. Auf dieses Prélude folgen vier Szenen, vom Männersolo bis zum Herrenduo. Immer wieder spielen dabei Armformen eine dominante Rolle, es kommt zu Bodensequenzen mit Schulterstand und auch Sprüngen aus dem Fundus des Balletts. Sauber, sachlich und nüchtern geschieht das, wie Dienst im Auftrag eines Rituals. Selten kommt es zu Berührung oder Hebung. Vielmehr strahlt die choreografische Konstruktion etwas Beruhigendes aus, verrät Sinn für Maß und kalkuliert verknüpfte Form. Wie musikalisch Clarks Erfindung sich auch gibt, ordnet sie sich nicht strikt Satie unter: Nach einem Finale mit zwei fast spiegelbildlichen Formationen und Wiederholung vieler Elemente erlischt über dem Tanz das Licht, während die Musik längst verklungen ist. Der Tanz überlebt! Der Mittfünfziger Michael Clark scheint hier - wie am Ende seiner Karriere Merce Cunningham, ein erklärter Mentor des Briten - zu den Wurzeln der Ausbildung zurückgekehrt zu sein und so etwas wie Klassizität erreicht zu haben. Die folgenden Teile widmen sich Rock- und Popmusikern, die Clark verehrt. »Land« basiert auf Titeln von Robert Mapplethorpes Muse Patti Smith.

Wiederum gibt sich Clark wohl seiner choreografischen Eingebung des ersten Teils hin, variiert und ergänzt, doch ohne sich an die Musik zu verlieren. Zur Videoinstallation »Painting by Numbers« von Charles Atlas, einer Folge sich überlagernder, schlierender und explodierender geometrischer Formen aus Ziffern, gerät der Tanz in diesem düster virtuellen Raum freier im Umgang mit dem Bewegungsmaterial. Dancing to a simple rock ’n ’roll song heißt es im Text: Während zwei Akteure liegen und eine Frau noch tanzt, schluckt sie das Dunkel.

Mit »my mother, my dog and CLOWNS!« als Verbeugung vor dem 2016 verstorbenen David Bowie, auch er Inspiration für Clark, schließt der Abend. »Blackstar« vom letzten Album des Rockers leitet im schwarz verhüllten Raum ein. Eine Figur in schwarzem Mantel wie Al᠆brecht in »Giselle«, als dunkler Engel vielleicht Todesbote, geistert durch die Reihen der Tänzer in metallisch glänzenden Trikots. Selten ergeben sich Körperkontakte wie ein Ansprung oder eine Führung des Partners, Glutröte wandelt sich dabei zu orangefarbenem Licht. Wieder verteidigt der Tanz sein Eigenleben, ohne die Musik zu missachten, reagiert mutig mit Langsamkeit oder Verharren auf wilde Klavierpassagen. Clownesk weiß geschminkt sind am Ende die Tänzer; auf Handschnipser im Trio und den letzten Klavierton blendet abrupt das Licht aus. Das hat Witz und setzt einen Punkt unter ein Gastspiel, das auch und nicht zuletzt durch seine brillanten Interpreten besticht.

Brillant auf ihre Art war die Italienerin Cristiana Morganti. Nach einem Ballettstudium in Rom arbeitete sie 22 Jahre in Wuppertal bei Pina Bausch. Stoff genug, daraus mit der Berufs- und Lebenserfahrung einer Frau von 50 ein Solo zu gestalten. In »Jessica and me« befragt sie, prallbusig und kraushaarig, sich selbst mit köstlicher Ironie, was Tanztheater und Ballett ihr bedeuten, erzählt launig, tanzt zur Barockarie, schlurft in zu großen Schuhen, muss für Pina rauchen lernen, verbrennt schließlich im opulenten Kleid über einer Krinoline. Eine Aktrice wie ein Vulkan, mit sehr nachdenklichen Momenten.

Bis 2.9., Infos unter: www.tanzimaugust.de

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