Königs Reich
Hartmut König las aus seiner Autobiografie
Wer Hartmut König nicht kennt, würde kaum auf den Gedanken kommen, dass der Mann, der am Mittwochabend auf der Bühne des Münzenbergsaals im nd-Gebäude Platz nahm, einmal ein populärer Musiker und später auch ein hoher Repräsentant der DDR-Kulturpolitik war. Von derart Prominenten, selbst wenn ihre Blütezeit hinter ihnen liegt, ist man ein eitles, über die Dinge erhabenes Auftreten gewohnt. Der Mensch da vorne hingegen ist von den Leuten im Publikum schwerlich zu unterscheiden. Das weiß gewordene Haar nachlässig frisiert, setzt er sich an den kleinen Lesetisch auf dem Podium, als wäre der ein Möbelstück in der Küche von Freunden. Das schlichte Hemd spannt über Königs beachtlichem Bauch, aber das scheint ihn nicht zu stören. Was er an diesem Abend mitzuteilen hat, ist auf die polierte Fassade nicht angewiesen - und war es womöglich nie.
Dass jemand im Saal Hartmut König nicht kennt, darf ohnehin bezweifelt werden. Mancher wird als Weggefährte erkannt und benannt. Selbst dem Berichterstatter, drei Jahrzehnte jünger als König und die meisten seiner Zuhörer, sind die Singebewegung der DDR, sind der Hootenanny-, der Oktoberklub ein ehrbarer, ein denkwürdiger Begriff. Königs berühmtestes Lied, »Sag mir, wo du stehst«, kann ich noch heute Wort für Wort mitsingen, und ich gestehe, es kommt mir manchmal mit leichtem Erschaudern in den Sinn, wenn jetzt zuweilen wieder unter Linken die richtige Gesinnung abgefragt wird, als wäre die ein durch nichts zu erschütterndes Manifest. Ein ganz anderes Lied des Oktoberklubs, »Nach dieser Erde«, hörte ich zuletzt gesungen von meiner Tochter, gemeinsam mit Hunderten anderer Kinder im Grundschulalter - ein musikalisch betörendes, ein wieder und immer noch akutes Mahnstück um die bedrohte Bewahrung unseres unteilbaren Heimatplaneten.
Rechtzeitig vor seinem 70. Geburtstag, den er an diesem Sonnabend begehen wird, hat Hartmut König eine Vielzahl höchst interessanter, bewegter und bewegender Erinnerungen an seinen Lebensweg niedergeschrieben. Einen Weg, den Bruno Apitz, Pete Seeger und Konrad Wolf früh kreuzten, den Thomas Brasch, Bettina Wegener, Jenny Gröllmann und viele andere über kurze und längere Strecken mit ihm gemeinsam beschritten und bestritten.
Das soeben erschienene dicke Buch des einstigen ND-Volontärs, Journalistikstudenten, Mitglieds der Band Team 4, Sekretärs des Zentralrats der FDJ, ZK-Mitglieds und stellvertretenden DDR-Kulturministers - es ist eine Bilanz, die sich aufrecht, differenziert und kritisch mit jenem offiziell begrabenen Kapitel deutscher Geschichte auseinandersetzt, in das König hineingeboren wurde und an das er sein aktives Werden mit Überzeugung knüpfte. Eine Bilanz aber auch, die schmerzlich darum weiß, dass das große Versprechen jener Gegenwart, von deren Träumen und Kämpfen, Euphorien und Streits hier so alltagsnah erzählt wird, nicht eingelöst worden ist. Schließlich ist das Buch auch dies: ein mit Gegenwartsbezügen gespicktes Bekenntnis zum bleibenden Ziel einer gerechten Gesellschaft. Ein Buch, das diesen Titel trägt, versteht sich gewiss nicht nur als Bilanz: »Warten wir die Zukunft ab«.
Hartmut König: Warten wir die Zukunft ab. Autobiografie. Verlag Neues Leben, 560 S., geb., 24,99 €.
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