»Lügenpresse light«
Thilo Sarrazin fühlt sich ausgegrenzt und benachteiligt - eine falsche Vorstellung, die bereits Mainstream ist
Thilo Sarrazin, Bestsellerautor, Politiker und Talkshow-Gast auf allen Kanälen, fühlt sich ausgegrenzt und benachteiligt. Die öffentlich-rechtlichen Medien, die er gerne »Staatsrundfunk« nennt, seien »völlig beherrscht von einer sehr einseitigen Sicht auf Fragen wie Einwanderung, Bildung, Demografie«, und sie übten »knallhart Zensur« aus. »Das kenne ich von meinem eigenen Fall.« Thilo Sarrazin ist, wie gesagt, in Dauerschleife in den Medien präsent, auch in denen von ARD und ZDF. Der Ton, den er anschlägt, ist geprägt von der Sicht, einer unterdrückten, ausgegrenzten, marginalisierten politischen Minderheit anzugehören.
Die Ironie dieses Lamentos besteht allerdings darin, dass es selbst bereits Mainstream ist. So jedenfalls die These des Medienwissenschaftlers Bernhard Pörksen. »Die Mainstream-Kritik wird allmählich selbst zum neuen Mainstream, zu einem sich nonkonformistisch gebenden Konformismus, der panisch überall Gesinnungsvorgaben wähnt und den eigenen Entrechteten-Mythos pflegt«, schreibt Pörksen in einem Gastbeitrag auf zeit.online. Mit der Rede vom »Staatsfunk«, wie sie kürzlich auch im »Spiegel« geführt wurde, sei »der Verdacht, von den öffentlich-rechtlichen Medien und vermeintlich übermächtigen Journalisten manipuliert zu werden«, vom rechten Rand bis in die Mitte der Gesellschaft gewandert.
Der Tübinger Medienwissenschaftler spricht von einer um sich greifenden »pauschalen Medienskepsis«, von der mittlerweile selbst Journalisten ergriffen seien. Damit würden von Rechtspopulisten besetzte Begriffe wie »Staatsfunk« oder »Lügenpresse« als »gängige Münze« erscheinen. Pörksen erkennt zwar an, dass es berechtigte Kritik am Einfluss der Politik auf die Medien gibt (z.B. an der Art und Weise, wie das Kanzleramt die Bedingungen des TV-Duells zwischen Angela Merkel und Martin Schulz vor der Bundestagswahl zu diktieren vermochte), warnt aber vor pauschaler Medienkritik.
In den vergangenen Jahren sei abseits des knallharten rechten Diskurses »ein noch diffuseres Lügenpresse-light-Milieu entstanden, geprägt durch ein gemeinsames Unbehagen am etablierten Journalismus.
Wie sehen die Denkmuster dieses Milieus aus? Man stellt sich Journalisten als übermächtige, autoritär agierende Gatekeeper vor, die kontrollieren, was gesendet und gedruckt wird, und letztlich auch bestimmen, was sagbar und politisch durchsetzbar scheint. Macht und Einfluss werden hier in Gestalt von rostigen Kampagnentheorien aus einer vergangenen Medienepoche strikt vordigital gedacht, isoliert, personalisiert, orientiert an klar identifizierbaren Monopolen der Meinungsbildung.«
Die Vokabel »Lügenpresse« werde in diesem Milieu zwar abgelehnt, jedoch flirte man »nach Kräften mit dem großen Verdacht: Es werde in der Regel nicht direkt gelogen, so heißt es, aber doch die Wahrheit systematisch gebeugt - manchmal nur durch das gezielte Verschweigen, die Auslassung oder eben durch die Dauerbeschallung mit dem Gerede derjenigen, die man ›Gutmenschen‹ oder ›Pädagogen‹ und ›Volkserzieher‹ nennt.«
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