Werbung
  • Politik
  • Verfahren gegen Kristina Hänel

Ärztin wegen Werbung für Abtreibung verurteilt

Amtsgericht verhängt eine Geldstrafe über 6000 Euro / Verteidigung kündigt an, »sicher« in Revision zu gehen

  • Lesedauer: 4 Min.

Gießen. Das Amtsgericht Gießen hat eine Ärztin wegen Werbung für Schwangerschaftsabbrüche zu einer Geldstrafe von 6.000 Euro verurteilt. Die Allgemeinmedizinerin habe im Internet über Abtreibungsmöglichkeiten informiert und damit gegen Paragraf 219a des Strafgesetzbuches verstoßen, sagte die Richterin am Freitag in ihrer Urteilsbegründung. Das Urteil folgte dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Die Gießener Ärztin Kristina Hänel muss eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 150 Euro zahlen und die Kosten des Verfahrens tragen (AZ: 500DS 501JS 15031/15).

Eine Revision beim Landgericht sei möglich, erklärte die Richterin. Hänels Verteidigerin kündigte an, »sicher« in Revision gehen zu wollen. Sie sieht in dem Urteil »katastrophale Rechtsfehler«. Hänel hatte bereits vorher in Interviews angekündigt, durch alle Instanzen gehen zu wollen.

»Ein Anlass, die Gesetze zu ändern«
Die Frauenärztin Edith Beckmann kritisiert den Prozess gegen Kristina Hänel

Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs verbietet Werbung für Schwangerschaftsabbrüche. Der Gesetzgeber habe sich dort »klar und unmissverständlich ausgedrückt«, sagte die Richterin. Er wolle nicht, dass öffentlich über einen Schwangerschaftsabbruch diskutiert wird, als sei es eine normale Leistung von Ärzten. Es sei der gesetzgeberische Wille, dass Informationen bei den Beratungsstellen liegen, die Frauen vor einem Schwangerschaftsabbruch aufsuchen müssen.

Nach dem Wortlaut des Paragrafen hatten Hänel bis zu zwei Jahren Haft gedroht. Laut Anklage hatte sie im April 2105 auf der Internetseite ihrer Praxis einen Link »Schwangerschaftsabbruch« veröffentlicht und eine Datei zum Download angeboten. Dort seien detaillierte Informationen zum Schwangerschaftsabbruch gegeben worden, etwa über den chirurgischen Verlauf und mögliche Komplikationen. Auch sei geraten worden, eine Begleitperson zu dem Eingriff mitzunehmen, erläuterte die Richterin.

Der Staatsanwalt sagte, die Regelung des Schwangerschaftsabbruchs sei seit jeher umstritten, der Schutz ungeborenen Lebens stehe der Selbstbestimmung und Freiheit der Frau gegenüber. Paragraf 219a solle eine Kommerzialisierung des Abbruchs verhindern. Die Norm verfolge daher »einen legitimen Zweck«.

Die Verteidigerin Hänels, die auf Freispruch plädierte, sieht in dem Paragrafen »ein vergessenes Nazi-Gesetz«. Der Paragraf stammt in seiner alten Form aus dem Jahr 1933. Er ignoriere wesentliche Rechte wie das Informationsrecht des Patienten. Die Veröffentlichung auf der Homepage sei keine Aufforderung im Sinne von »Kommen Sie zu mir«. Hänel habe lediglich über Rahmenbedingungen informiert.

Zahlreiche Unterstützer der Ärztin demonstrierten vor und während der Verhandlung vor dem Amtsgericht. Einige trugen T-Shirts mit der Aufschrift »My Body, my choice« oder Plakate wie »Mein Kopf gehört mir - Entscheidungen brauchen Informationen«.

Die stellvertretende LINKEN-Fraktionsvorsitzende Cornelia Möhring, die zum Prozess nach Gießen gereist war, sagte dem Evangelischen Pressedienst, ihre Fraktion habe einen Gesetzentwurf zur Streichung des Paragrafen 219a vorgelegt. Keine Frau mache leichtfertig einen Schwangerschaftsabbruch. Aber eine »Frau in Not« dürfe sich noch nicht einmal informieren. Das sei eine »absurde Situation«.

Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Eva Högl kritisierte in Berlin, das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche schaffe in der ärztlichen Praxis große Unsicherheit. Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Ulle Schauws erklärte, eine Streichung oder zumindest Änderung des Paragrafen sei überfällig. Der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Stephan Thomae sagte, Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs sei in seiner jetzigen Form für die Freien Demokraten »nicht mehr zeitgemäß und sollte geändert werden«.

Kristina Hänel hat auf der Onlineplattform »change.org« eine Petition an den Bundestag gerichtet und fordert ein »Informationsrecht für Frauen zum Schwangerschaftsabbruch«. Mittlerweile haben fast 120.000 Menschen die Petition unterschrieben. Etwa 100 Ärzte unterschrieben zudem eine Solidaritätserklärung für Hänel.

Die Organisation pro familia erklärte, der Paragraf 219a werde zunehmend von Abtreibungsgegnern dazu benutzt, um Ärzte anzuzeigen oder einzuschüchtern. In der Folge nähmen viele Ärzte und Praxen aus Angst vor Strafverfolgung sachliche Informationen von ihren Webseiten herunter. epd/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Dazu passende Podcast-Folgen:

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.