Alles zu schön, um wahr zu bleiben

»Das Wunder vom Wedding« wird an diesem Freitag im Theater im Aufbau-Haus uraufgeführt

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.
Wunder soll es immer wieder geben. Aber so richtig Verlass darauf ist nun wirklich nicht. Deshalb war für das geheimnisvolle Ereignis viel Fleiß gesetzt. Bei den letzten Proben für »Das Wunder vom Wedding« lagen die Nerven blank. Mit Brummen, Stöhnen oder herzhaftem Lachen ließen die Akteure zwischen den Szenen Dampf ab, um dann im Spiel konzentriert an ihren Verwandlungen zu arbeiten. Wenn es darauf ankam, flutschte es.

Katharina Schlender schrieb den realitätsnahen Text für das Stück, das an diesem Freitag seine Uraufführung im Theater im Aufbau-Haus am Moritzplatz erlebt hat. Es lehnt sich sehr frei an »Das Wunder von Mailand«. Der sozialkritische Film von Vittorio De Sica von 1951 nahm seinen Weg um die Welt und wird immer neu entdeckt. Eine deutschsprachige Fassung gab es bereits 1952. Es ist die Mischung von Wirklichkeit und Märchenhaftem, die den Reiz dieses Stoffes ausmacht. Die aussichtslose Situation der Protagonisten fordert die Fantasie als Fluchtweg aus der Misere heraus.

Das aktuelle Berlinmärchen spielt im Untergrund des Wedding. Hier ist der Ort der Chancenlosen, Wohnungslosen. Doch hier geschieht, was niemand für möglich hielt: Eine Lichtgestalt erscheint. Die auf der normalen Straßenebene der Stadt Vergessenen können sich etwas wünschen. Mehr und mehr sprudelt da an Erträumtem aus ihnen heraus. Zunächst geht es zaghaft um eine halbe Schrippe, dann um einen Pelz. Nein, doch besser um einen Pelz mit Frau drin. Ein Rollstuhl für einen Engel, Liebe, viel Geld, später Wasserbetten, Aufzug, Liftboy, Massagesalons ... Viele Wünsche finden Erfüllung, kein Problem. Der Ort wird schick. Alles zu schön, um wahr zu bleiben. Eine Investorinnenspürnase wittert das große Geschäft.

Rolf Kemnitzer inszenierte das Stück. Der Regisseur ist selbst auch Dramatiker. Er ging hart an den Text, wie er sagt. Um das »Wunder« auf 90 Minuten zu kürzen, trennte er sich schweren Herzens von etlichen geliebten Passagen. »Aber es hat sich gelohnt.« Kemnitzer arbeitet hier mit professionellen Schauspielern und sehr begabten Laien. »Die Darsteller können sich sehr gut in die Situation versetzen.« Da ist er ganz sicher. Die freiberuflichen Schauspieler und die anderen Beteiligten sind nicht auf Rosen gebettet. Und er - in Prenzlauer Berg lebend - sieht, was um ihn herum geschieht, spricht davon, welchen Schrecken beispielsweise das Wort »Eigenbedarf« auf dem Wohnungsmarkt inzwischen verbreitet.

Rolf Kemnitzers soziales Engagement geht über die Wahrnehmung von Konfliktpotenzial hinaus. Er arbeitet zusammen mit Katharina Schlender schon länger mit Neuköllner Kindern, bezog Kinder aus in Prenzlauer Berg lebenden Flüchtlingsfamilien ein. Gemeinsam mit anderen Künstlern und Theaterpädagogen entwickelte er das Konzept des Interkulturellen Theater-Zentrums mit Sitz in der Schudomastraße 32. Der Verein ist eingebunden in das starke Kulturnetzwerk Neukölln.

Das nun vom Fonds Soziokultur geförderte aktuelle Projekt ist also das Ergebnis guter Ideen. Für Kinder, Jugendliche und Erwachsene hält der Verein Angebote bereit. Momentan sucht er wieder Mitmacher für sechs Projekte. Was bereits geschafft wurde, lässt sich im Projektarchiv auf der Website sehen (www.itzberlin.de).

Der Regisseur sagt, seine »Wunder«-Truppe sei sehr lebendig. Er ist stolz auf sie. Zeigt es aber nicht bei den Proben. Vielmehr knurrt er sie an. »Was ihr da spielt, muss durch euch durch!«, fordert er. Die zehn Mitwirkenden schlucken es ohne Widerspruch. Zur Premiere sind sie nicht allein auf der Bühne. Die Punkband »Panika« wird mitmachen.

Im Theater im Aufbau-Haus mit 80 Plätzen will das Interkulturelle Theater-Zentrum auch künftig präsent sein, nicht nur im Projektraum in Neukölln. Für die neue Kooperation wird momentan am Spielplan gearbeitet. Für das Weddinger »Wunder« sind schon Spieltermine im April vereinbart.

Vorstellungen: 12., 13. und 14. Januar im Theater im Aufbau-Haus, Prinzen- str. 85, Kreuzberg

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