»Gruppenküken« mit Elternvollmacht
An Sachsen-Anhalts Hochschulen stieg die Zahl der minderjährigen Studenten in den letzten Jahren deutlich an
Luca Scharf fällt nicht auf unter den Studenten, die an diesem Tag auf dem Gelände der Otto-von-Guericke-Universität in Sachsen-Anhalts Hauptstadt Magdeburg unterwegs sind. Er trägt Strickmütze, Sweatshirt, Sneaker. Wie die anderen ist er zurzeit im Lernstress, die Prüfungsphase läuft. Und doch unterscheidet er sich von den meisten. Denn ohne die Unterschrift seiner Eltern wäre er nicht hier. Scharf ist erst 17 Jahre alt. Um sein Studium in Biosystemtechnik zu beginnen, brauchte er die Einwilligung seiner Eltern.
Scharf ist einer von 18 Minderjährigen, die sich für dieses Wintersemester an der Otto-von-Guericke-Universität eingeschrieben haben. Er hat die erste Klasse übersprungen, Lesen und Rechnen konnte er schon vor der Einschulung. »Ich habe die Aufgaben immer so schnell ausgerechnet, dass meine Lehrerin meinte, ich würde den Lernfluss der anderen stören«, erzählt er. Immer der Jüngste zu sein, war er so schon seine ganze Schulzeit lang gewohnt. »Dadurch war der Übergang zur Uni vielleicht auch nicht so schwer. Mit Älteren habe ich mich schon immer gut verstanden.«
Deutschlandweit hat sich die Zahl der nicht volljährigen Studenten seit 2004 mehr als verzehnfacht. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts waren im Wintersemester 2016/17 über 4200 Minderjährige für ein Studium eingeschrieben.
In Sachsen-Anhalt wurden laut Statistischem Landesamt in demselben Semester 40 Studenten unter 18 Jahren gezählt. Auch im Land hat die Zahl seit der Einführung des Abiturs nach zwölf Schuljahren deutlich zugenommen. 2006, im Jahr vor der Einführung, studierte lediglich ein 17-Jähriger in Sachsen-Anhalt. Doch auch mit derzeit 40 bleibt der Anteil der Minderjährigen an den mehr als 54 000 Studenten mit rund 0,07 Prozent marginal.
Eine besondere Herausforderung stellen die minderjährigen Studenten somit nicht dar, wie Manuela Bank-Zillmann, Sprecherin der Martin-Luther-Universität in Halle, sagt. »Bei minderjährigen Studienanfängern muss ein Erziehungsberechtigter den Immatrikulationsantrag mit unterschreiben.« Dieses Einverständnis beziehe sich dann auf das gesamte Studium mit allem, was dazugehört - etwa die Teilnahme an Exkursionen oder an den Sportangeboten der Uni.
An der Hochschule Merseburg wurde dafür eigens ein neues Vollmachtformular entwickelt. Es schließt von der Bewerbung bis zum tatsächlichen Studium alles mit ein. An der Hochschule studieren in diesem Wintersemester erstmals zwei Minderjährige.
Auch Luca Scharf in Magdeburg hat nach seiner Immatrikulation Genehmigungen seiner Eltern nicht mehr gebraucht, einzig den Mietvertrag für seine Ein-Zimmer-Wohnung mussten sie noch unterschreiben. Nach dem Abitur habe er zunächst überlegt, ins Ausland zu gehen, erzählt Scharf. Allerdings: Wer einen Freiwilligendienst absolvieren oder ein Visum zum Arbeiten und Reisen beantragen will, muss in der Regel volljährig sein. Er entschied sich am Ende unabhängig davon für sein Studium in Magdeburg. »Ich habe mich einfach eingeschrieben und losgelegt«, sagt er. »Ich habe mir gedacht, wenn es nicht passt, kann ich aufhören und mir etwas anderes suchen.«
Im Umgang mit den anderen Studenten spiele sein Alter fast keine Rolle, erzählt Scharf. Nur eine Situation ist ihm in Erinnerung geblieben. Gleich zu Beginn des Studiums stand eine Stadtrallye an, und weil es an mehreren Stationen auch um Alkohol ging, wurde das Alter abgefragt. Während alle anderen ein blaues Band bekamen, sei er der Einzige mit einem lilafarbenen Band gewesen, erinnert sich Scharf. In seinem Freundeskreis habe er inzwischen den Spitznamen »Gruppenküken«.
Läuft alles nach Plan, könnte der junge Student bereits mit 20 Jahren sein Bachelor-Studium beenden und mit 22 den angestrebten Master-Abschluss haben. Nach dem Studium plant er, den Auslandsaufenthalt nachzuholen - Zeit habe er schließlich genug. Aber erst einmal läuft jetzt der Countdown für seinen 18. Geburtstag. In diesen Tagen ist es so weit, der erste Urlaub als Volljähriger ist auch schon geplant: Es geht nach Amsterdam. dpa/nd
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.