Falsche Vergleiche

Wer links und rechts, kritisch und reaktionär in einen Topf wirft, verklärt den neoliberalen Kapitalismus

  • Andrea Ypsilanti
  • Lesedauer: 6 Min.

In der aktuellen Debatte verweisen konservative wie neoliberale Kommentatoren gerne darauf, dass es Parallelen zwischen rechtem Populismus und linker Globalisierungskritik gäbe. Mit einem gewissen Zynismus wird behauptet, die Kritiker*innen der Globalisierung könnten doch mit der Wahl von Trump einverstanden sein. Diese Argumentationen folgen einem gefährlichen und durchsichtigen historischen Muster.

Konservative und Liberale, gerade in Deutschland, haben den Vergleich in verschiedenen Epochen immer dann hervorgeholt, wenn die bürgerliche Gesellschaft in der Krise war. Oder um linke Bewegungen, Parteien und Verbände zu denunzieren. Zunächst gab es in der frühen Bundesrepublik die Gleichsetzung von Kommunismus und Nationalsozialismus. Damit verbunden war der Versuch, die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und das historisch singuläre Verbrechen der industriell organisierten Massenvernichtung der europäischen Juden zu relativieren. Ohne Frage gab es die großen Menschheitsverbrechen des Stalinismus, des Maoismus und diverser anderer kommunistischer Regime. Abgesehen davon, dass es immer falsch ist, ein Verbrechen mit einem anderen zu »entschuldigen«, wurden auf diese Art und Weise gezielt alle Linken bis zu den Sozialdemokraten unter den Generalverdacht des Totalitarismus gestellt. Die Kernthese, Hitlers nationalsozialistische Partei sei eine Abwehrreaktion auf den Bolschewismus gewesen, ließ sich aber selbst in konservativen Historikerkreisen nicht aufrechterhalten.

Die Autorin

Andrea Ypsilanti, Jahrgang 1957, gehört dem linken Flügel der SPD an. Seit 1999 ist sie Mitglied des hessischen Landtags, war zeitweilig Fraktionsvorsitzende und mehrere Jahre Landesvorsitzende der SPD. Nach der Landtagswahl 2008, bei der Ypsilanti Spitzenkandidatin war, strebte sie eine Regierung unter Einbeziehung der Linkspartei an – eine Konstellation, die sie im Wahlkampf deutlich abgelehnt hatte. Letztlich verhinderten vier SPD-Abgeordnete die Wahl Ypsilantis zur Ministerpräsidentin, die von SPD, Grünen und Linkspartei gestützt worden wäre. Daraufhin trat sie von ihren Ämtern zurück. Sie gehört zu den Gründern und führenden Köpfen des Instituts Solidarische Moderne, das eine parteiübergreifende linke Debatte vorantreiben soll.

Diesem Thema ist auch Ypsilantis Buch »Und morgen regieren wir uns selbst ...« gewidmet. Darin denkt sie über Perspektiven linker Politik nach, untersucht die Krise vor allem der europäischen Sozialdemokratie, macht Vorschläge für Alternativen zur neoliberalen Politik und für einen sozial-ökologischen Umbau. Der nebenstehende Text ist ein Auszug aus dem Buch, den wir mit freundlicher Genehmigung des Westend Verlags veröffentlichen.

Dennoch blieb und bleibt der Versuch verführerisch, links und rechts, kritisch und reaktionär, radikal und rechtsextrem in einen Topf zu werfen, um die bürgerliche Gesellschaft und aktuell den neoliberalen Kapitalismus als einzig mögliche und freie Gesellschaft zu verklären. Die Verbrechen und Kriege des Kapitalismus und Imperialismus erscheinen so als Kollateralschäden, die zu verkraften sind und auf individuellen Fehlleistungen beruhen und nichts zu tun haben mit den gesellschaftlichen Bedingungen im Kapitalismus.

Dabei ist bei differenzierter Analyse der Unterschied zwischen linker Globalisierungs- und Gesellschaftskritik und Rechtspopulismus und Extremismus sehr wohl klar definierbar.

Trump und den europäischen Rechtspopulisten geht es bei der Ablehnung der Freihandelsabkommen TTIP, CETA u. a. um Protektionismus und Nationalismus, wohingegen die Globalisierungskritiker*innen den Schutz der sozialen und ökologischen Rechte und den fairen Handel in den Mittelpunkt ihrer Kritik stellen.

Die vermeintliche Entdeckung der Arbeiterklasse durch die Rechtspopulisten bezieht sich nicht auf soziale und ökologische Rechte, Standards und Errungenschaften. Es geht um »Rasse«, Religion und »Volk«. Die Gegner der Rechten sind nicht die abstrakten multinationalen Konzerne, Hedgefonds, Steueroasen, sondern die vermeintlichen »Konkurrenten« der »weißen« Arbeiterklasse: Ausländer, Migranten und Flüchtlinge. Der vermeintliche Kampf gegen die Wall Street und das Washingtoner Establishment endete bei Trump in der Berufung eines Goldman-Sachs-Bankers zum Finanzminister (Steven Mnuchin), eines Ölmagnaten zum Außenminister (Rex Tillerson, zuvor Präsident des Mineralölkonzerns ExxonMobil) und von Erzkonservativen und rechten Populisten in das Kabinett.

Die linke Kritik der Globalisierung und des neoliberalen Kapitalismus lehnt weder Globalisierung noch Internationalisierung ab. Im Gegenteil, es waren die linken Parteien und sozialen Bewegungen im 20. und 21. Jahrhundert, die Solidarität, Gerechtigkeit, einen anderen Umgang mit der Natur im internationalen und globalen Sinn forderten. Das kritisiert nicht die Staaten an sich, sondern die Politik der Regierenden und der Wirtschaft: die Aushebelung demokratischer Kontrollinstanzen durch internationale Schiedsgerichte unter der Herrschaft der Investoren, die Ignoranz der sozialen Rechte in allen beteiligten Staaten, die Unterminierung ökologischer Standards, die Zerstörung der Biodiversität und die Enteignung der Menschen im globalen Süden. Das sind grundlegende Unterschiede.

Gleichzeitig sind die Rechtspopulisten und -extremen mit ihrer demagogischen Kritik und Praxis, die ökonomisch voraussichtlich verheerende Folgen haben wird, machtpolitisch im »Vorteil«. Sie meinen es ernst, sie sind skrupellos und schrecken außerparlamentarisch auch vor Gewalt gegen Menschen nicht zurück. Sie werden ihre kruden Vorstellungen im Bundestag vertreten und damit eine weitere öffentliche Bühne nutzen. Sie arbeiten an ihren »Machtmitteln«, eigenen Medien und Hasstiraden in den sozialen Medien und Fake News.

François Hollande gewann 2012 die Wahl zum Präsidenten, weil er soziale Reformen versprach und im Gegensatz zu Nicolas Sarkozy ein »normaler Präsident« sein wollte. Er selbst erklärte sich zum »Feind der Finanzmärkte«. Umgesetzt hat er zu Beginn ein paar zaghafte Schritte, eine ziemlich fragwürdige Millionärssteuer, aber den Kampf gegen die Finanzmärkte, ihre Strukturen, Methoden und Auswüchse hat er - ebenso wie seine Opposition gegen den Fiskalpakt - nach seinem ersten Besuch bei Angela Merkel eingestellt. Die deutschen Sozialdemokraten waren auch keine große Hilfe. Weder in der Finanz- noch in der Eurokrise haben sie, obwohl Schäuble und Merkel auf ihre Zustimmung zu den Rettungspaketen angewiesen waren, ein wirksames Gegengewicht auf die Waage gelegt. Die Banken in Europa werden etwas schärfer reguliert und müssen mehr Eigenkapital hinterlegen, aber über einen wirksamen Einfluss auf ihre Geschäftspolitik wurde erst gar nicht nachgedacht. Griechenland und die anderen südeuropäischen Staaten wurden der Troika ausgeliefert.

Wenn Didier Eribon von der Verachtung der linken Bobos, also der »bourgeois bohemiens«, der konsumverliebten Alt-68er gegenüber den »Zahnlosen«, wie der französische Expräsident Francois Hollande angeblich die Deklassierten und Mittellosen bezeichnet hat, schreibt, dann ist auch diese Herzlosigkeit Gegenstand der Kritik.

Der Begriff der Reform, ursprünglich mit der Verbesserung der Lebensverhältnisse für die arbeitenden und beschäftigungslosen Menschen in Europa konnotiert, enthält kein Versprechen mehr, sondern stellt eher eine Bedrohung dar. Sozialistische und sozialdemokratische Parteien haben sich den neoliberalen Forderungen angepasst. Kein Wunder, dass die Wähler*innen abgewandert sind. Wer seinen eigenen Gebrauchswert dem Tauschwert der neoliberalen Ideologie opfert, sollte nicht die Wähler*innen kritisieren, sondern über die Praxis nachdenken.

Es ist fraglich und wenig sinnvoll, ständig die Vorwurfskeule »Populismus« der neuen rechten Bewegung entgegenzuschleudern. Als hätten christdemokratische, christsoziale, sozialdemokratische und sozialistische Volksparteien in den vergangenen fünfzig Jahren nicht auch davon Gebrauch gemacht. Das Diktum von Franz Josef Strauß, »rechts von der Union darf es keine rechte Partei geben« (die SPD hat aus ihrer Sicht das Gleiche nach links gedacht und praktiziert, wenn auch weniger erfolgreich), implizierte zugleich, dass Populismus Sache des Aschermittwochs und der Volksparteien ist und bleibt. Damit war er quasi eingehegt und demokratisch legitimiert. Wenn der bereits latent immer existierende Populismus heute umschlägt und tatsächlich bedrohlich wird, nicht mehr ein Spiel ist, sondern soziale Bedrohung wird, ist ihm mit Mimesis nicht beizukommen. Rechte Demagogen und Populisten werden immer neue Feinde entdecken. Linke Parteien müssen sich der Mimesis verweigern. Die Verweigerung muss in ihrer politischen Praxis sichtbar werden.

Eine demokratische Linke benötigt eigene Ausstrahlungskraft. Sie muss selbst attraktiv sein, sowohl im ideellen als auch materiellen Sinn. Das alleine garantiert keine Immunisierung der Wähler gegen rechte Demagogen. Aber sie kann das Antibiotikum gegen das Gift der Rechten sein.

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